Aller guten Dinge sind vier
Sehr laut. Ich hatte immer gehört, das Ballroom sei eine Schwulenkneipe, aber ganz offensichtlich verkehrten hier nicht nur Schwule.
»Was tun denn die ganzen Unschwulen hier?« fragte ich Sally.
»Das sind Touristen. Der Wirt hier stand nämlich kurz vor der Pleite, müssen Sie wissen. Er hatte den Laden für die Schwulen aufgemacht, aber in Trenton gab’s nicht genug Schwule, um ihn in Schwung zu bringen. Da hat Wally sich was einfallen lassen – er hat ein paar Typen angeheuert, die täglich reinkommen und hier miteinander tanzen und ’n bißchen knutschen, damit’s aussieht, als wär hier echt was los. Das hat sich ziemlich schnell rumgesprochen, und auf einmal sind die Leute gekommen. Alle, die mal Schwule unter sich sehen wollten.« Sally lächelte. »Und jetzt ist der Laden in.«
»Wie Sie.«
»O ja. Ich bin total in.«
Sally winkte jemandem zu. »Sehen Sie den Kerl im roten Hemd? Das ist Wally, der Wirt. Er ist ein Genie. Er hat sich noch nen Trick einfallen lassen. Eintagsfliegen kriegen das erste Getränk umsonst.«
»Eintagsfliegen?«
»Yuppies, die mal für einen Tag coole Schwule spielen wollen. Diese Typen, wissen Sie, die meinen, es wär ein Kick, sich mal in die Klamotten der holden Gattin zu werfen. Die sind hier genau richtig. Man kriegt ein Getränk umsonst und ist außerdem noch in. Was will man mehr, hm? Und wenn man Lust hat, kann man die Ehefrau mitbringen, und die kann sich mal nen Abend lang als Lesbe versuchen.«
Die Frau, die neben mir stand, steckte in einem knappen Mieder und Hot pants aus schwarzem Leder. Ihr rotes Haar war von einem teuren Friseur zu kleinen Krissellöckchen gedreht, und sie hatte einen braunen Lippenstift aufgelegt.
»Hallo!« trällerte sie mich an. »Hast du Lust zu tanzen?«
»Nein, danke«, sagte ich. »Ich bin nur eine Touristin.«
»Ich auch!« quietschte sie. »Ist das nicht ein tolles Lokal? Ich bin mit meinem Mann Gene hier. Er möchte mich mal mit einer Frau Wange an Wange tanzen sehen.«
Gene sah sehr proper aus in seiner hellen Hose und dem karierten Freizeithemd mit dem gestickten Pferdchen auf der Brusttasche. Er schwenkte sein Glas und beugte sich an seiner Frau vorbei zu mir herüber. »Cola mit Rum«, sagte er. »Möchten Sie auch eine?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab eine Kanone in meiner Tasche«, sagte ich. »Eine große.«
Gene und Gattin machten sich davon und verschwanden im Gewühl.
Sally hatte den Vorteil, daß er fast zwei Meter groß war. Suchend drehte er seinen Kopf hin und her.
»Sehen Sie ihn?« fragte ich.
»Nein.«
Mir war das Liberty Ballroom nicht geheuer. Zu voll, zu viele Menschen. Ich wurde ständig rumgestoßen. Hier würde sich Sugar mit Leichtigkeit an mich ranpirschen können – wie Jack Ruby, als er Lee Harvey Oswald erschoß. So könnte es mir ergehen. Eine Kugel in den Bauch, und ich würde nur noch Geschichte sein.
Sally legte mir die Hand in den Rücken, um mich vorwärtszuschieben, und ich sprang kreischend in die Höhe.
»Was ist? Was ist?« schrie Sally und schaute sich in heller Panik um.
Ich drückte meine Hand aufs Herz. »Ich glaub, ich bin ein bißchen nervös.«
»Bei mir rebelliert der Magen«, sagte Sally. »Ich brauch unbedingt was zu trinken.«
Die Idee fand ich gut und ging mit ihm zum Tresen. Ständig drehten sich Leute nach ihm um, blieben stehen, starrten ihn an und riefen: »Hey, das ist doch Sally Sweet. Sally, ich bin ein großer Fan von dir.« Und Sally sagte dann jedesmal: »Klasse, Mann, das ist echt cool.«
»Was willst du trinken?« fragte er mich.
»Bier. Aber aus der Flasche.« Wenn Sugar mich wirklich angreifen sollte, würde ich ihm mit der Flasche den Schädel einschlagen. »Ich wußte gar nicht, daß Sie so berühmt sind«, sagte ich. »Hier kennt Sie ja jeder.«
»Das kann man sagen«, meinte Sally. »Mindestens die Hälfte von den Typen hier haben mir schon mal nen Fünfer ins Strumpfband geschoben. Ich bin ne Lokalgröße.«
»Sugar ist hier irgendwo in der Gegend«, sagte der Barkeeper, als er Sally die Getränke brachte. »Er hat mich gebeten, dir den Brief hier zu geben.«
Der Brief steckte auch in so einem adretten kleinen weißen Umschlag wie der, den Großmama von Sugar erhalten hatte. Sally machte den Umschlag auf und las.
»›Verräter‹«
»Das ist alles?« fragte ich.
»Das ist alles. ›Verräter‹.« Sally schüttelte den Kopf. »Der ist echt nicht mehr zu retten. Der spinnt total. Aber ’n Spinner ist wenigstens noch komisch.
Weitere Kostenlose Bücher