Allerseelen
Gnostizismus sprach, über die Rechtschreibreform, über die Größe von Jüngers Arbeiter oder die Wonnen von Karpfen in Bierteig oder Prousts Schattenseiten, ob das Thema gewagt oder heiter war, ernst, oberflächlich oder hermetisch, die Strategie war fast immer die gleiche: der optimale Gebrauch der Sprache, des Glanzes von Wörtern, der Musikalität, von Presti und Andantes, des Maschinengewehrfeuers von Staccati bis hin zu jener ultimativen Waffe der Rhetorik, der sorgfältig in Takte aufgeteilten Stille, und so wurden die beiden Niederländer, die sich nur mal schnell ein Auto für ihren ersten gemeinsamen Ausflug ausleihen wollten, in jene Farbe auf der Mitte zwischen Gelb und Rot getaucht, die natürlich nicht umsonst die emblematische Farbe ihres Königshauses war. Wie auf einer Achterbahn flogen sie vom himmlischen Gold zum chthonischen Rot, vom Safrangelb der buddhistischen Mönche zum Orange, das Dionysos getragen haben mußte, und damit auch von der Treue zur Untreue, von der Wollust zur Vergeistigung und so, wie Arno meinte, zu allem, was aufregend war.
»Wie zum Beispiel Helenas Schleier«, sagte Elik. »Und das Kreuz der Ritter vom Heiligen Geist.«
Arthur sah, wie Arnos Augen hinter den Brillengläsern aufleuchteten.
»Wieso, Helenas Schleier?«
»Bei Vergil. Auch Safran.«
»Hm.«
Jetzt war wieder ein Stein in den Teich geworfen worden, und kurz darauf war Arno Tieck in ein tiefes Gespräch mit dieser überraschenden Holländerin verwickelt, mit der sein immer so ruhiger Freund Daane angekommen war.
Geschichte, Hegelkurs (nein!), Dissertation (ach!), Mittelalter (herrlich!), wie ein Weberschiffchen schoß das Gespräch zwischen Narbe und Brillengläsern hin und her, Titel, Namen, Begriffe, die Arthur ausschlossen, während draußen, dachte er, das Licht unmerklich mit jeder Sekunde an Gültigkeit verlor. Er wollte weg und wollte sitzen bleiben. Ob es durch das Deutsch kam, wußte er nicht, aber es schien so, als werde ihre Stimme dunkler, wenn sie diese Sprache sprach, und nicht nur das, sie selbst schien anders zu werden, jemand, der ihm schon jetzt entglitt. Noch kannte er sie nicht, und schon war sie woanders.
Sprachen sprechen war seiner Ansicht nach eine Imitation, die viel mehr beinhaltete als nur die Laute. Es hatte etwas mit Ehrgeiz zu tun und mit Beobachtung, die Aneignung von Betonung und Tonalität, des ganzen Habitus derjenigen, die diese andere Sprache sprachen. Der Ehrgeiz hing mit einem Drang zusammen, nicht auffallen, gerade nicht als Ausländer oder Außenstehender in Erscheinung treten zu wollen. In dieser Hinsicht war sie das Gegenteil von Arno, der fast nackt wirkte, wenn er Französisch oder Englisch sprechen mußte, nackt oder entwaffnet, weil ihm dann sein wichtigstes Instrument genommen war. Nicht, daß ihm das viel ausmachte, dafür war er sich seiner Argumente viel zu sicher. Bei ihr wußte er das nicht, es wäre vielleicht auch verwunderlich bei jemandem, der so jung war.
Jetzt glich es fast einem Theaterstück, er sah, daß sie Arnos Aufmerksamkeit genoß, sie brummte wie ein Cello, vielleicht hatte er deshalb aufgehört, den Worten der beiden zu lauschen, er empfand es als Musik, ein doppeltes Rezitativ für Alt und Bariton, bei dem er schon lange nicht mehr auf die Bedeutung der gesungenen Worte achtete. Er sah, daß sie nun auch ihre Bewegungen aufeinander abstimmten, so wurde es, Teufel noch mal, auch noch eine Art Ballett, bei dem unsichtbare Pfeile abgeschossen wurden, nein, das mußte jetzt ein Ende haben.
Er wartete eine zufriedene Pause ab, in der das Duo schnell mal auf die vollbrachten Heldentaten zurückblicken konnte, und stand dann so langsam wie möglich auf, wobei er seine Kamera, die er bei sich behalten hatte, so hob, daß er den anderen damit bedeutete, daß er mit diesem Tag noch etwas anderes vorhatte.
»Wo wollt ihr eigentlich hin?« fragte Arno.
»Zur Pfaueninsel, aber erst zur Glienicker Brücke.«
»Heimweh nach den tristen Tagen. Smiley, Vopos, Bedrohung? Die unerreichbare andere Seite?«
»Wer weiß.«
Als sie dort angekommen waren, wollte er ihr erklären, was Arno gemeint hatte, aber das wußte sie bereits.
»Auch ich sehe mir manchmal einen Film an.«
Film, Film. Aber hatte es einen Film gegeben, der exakt auszudrücken vermocht hatte, wie es hier, an genau dieser Stelle, vor zehn Jahren gewesen war? Natürlich hatte es den gegeben. Natürlich hatte es den nicht gegeben. Er lehnte sich über das grüne Geländer. Das Wasser
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