Alles auf Anfang Marie - Roman
sagte ich. »Und ich frage mich: Was war mit uns anders?«
»Alles war anders, Marie.«
»Du musstest meinetwegen niemandem die Nase brechen, okay«, sagte ich. Insofern war ich ein langweiliges Date gewesen. »Aber als ich ein halbes Jahr mit dir zusammen war, da war uns eigentlich klar, dass wir heiraten und eine Familie gründen, oder?«
Er dachte einen Moment darüber nach. »Ich glaube schon. Aber sieh mal, da war ich sechsundzwanzig und hatte einen festen Job.«
»War das denn alles nur eine Frage des Timings? Ich meine … wenn wir uns getroffen hätten, als du zwanzig warst … oder wenn du diese Beatrix später kennengelernt hättest …«
»Tja, wer weiß«, sagte er versonnen. »So gesehen hängt unser Leben vermutlich von einer Unmenge von Zufällen ab. Damit angefangen, dass meine Eltern eigentlich kein viertes Kind mehr wollten, aber dann kam ich. Hätten sie konsequenter verhütet, dann säße ich jetzt nicht hier. Und du wohl auch nicht.«
Das traf nicht so recht das, was ich sagen wollte. »Nein, ich meine … hast du dich nur für mich entschieden, weil ich zum richtigen Zeitpunkt aufgetaucht bin? Als es passte und du bereit warst für diesen Schritt?«
Jetzt war er ein wenig verärgert, das spürte ich sofort. »Klar«, sagte er sarkastisch. »Ich hatte mir überlegt: Die nächste alleinstehende Frau, die dir über den Weg läuft und nicht gerade aussieht wie Frankensteins Meisterstück, die wird geheiratet und zur Mutter gemacht.«
Auweia, jetzt hieß es rasch ein bisschen zurückrudern, um die Stimmung nicht kippen zu lassen. »So meinte ich das nicht. Natürlich hast du das nicht so bewusst entschieden. Aber vielleicht haben Männer ja auch eine biologische Uhr, die ihnen in ihrem Unterbewusstsein anzeigt, dass es Zeit ist, sesshaft zu werden.«
»Mag sein«, sagte er. »Aber ich wäre vielleicht auch ein, zwei Jahre eher sesshaft geworden, wenn ich dich früher getroffen hätte. Es war halt so, Marie. Was nützt es denn, darüber jetzt nachzugrübeln? Wir treffen ständig Entscheidungen, die in irgendeiner Form unser weiteres Leben bestimmen. Wichtig ist doch, was man daraus macht. Und wir«, jetzt drehte er mich gezielt zu sich herum, »haben es im Großen und Ganzen ziemlich gut gemacht, oder?«
»Glaub schon«, murmelte ich. In diesem Moment war ich jedenfalls nicht unzufrieden.
8
Am nächsten Tag, Sonntag, regnete es von morgens bis abends, was mir vor allem für Henning leidtat, weil ich ja immer rausgehen konnte, wenn es schön war, er aber nicht. Aber weil man nun mal am Wetter nichts machen kann, versuchten wir es locker zu nehmen und uns trotzdem entspannenden Tätigkeiten hinzugeben.
So saßen wir am Nachmittag beide lesend im Wohnzimmer, als es klingelte. »Nanu?«, fragte Henning. »Hast du Besuch eingeladen?«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte ich. Ich hatte endlich einen spannenden Krimi angefangen und verspürte wenig Lust, ihn zu unterbrechen.
»Dann werden es wohl die Zeugen Jehovas sein«, vermutete er und legte seine Zeitschrift beiseite. »Ich geh sie mal vertreiben. Du kommst in zehn Minuten nach und sagst, es wäre Zeit für das Gebet nach Mekka.«
»Viel Vergnügen«, rief ich ihm lachend nach.
Aber er war recht schnell wieder da, und zwar mit Kevin und Gonzalez im Schlepptau. »Hier sind zwei junge Herren für dich, Marie.«
Überrascht legte ich mein Buch weg. »Seid ihr zu Fuß hergekommen?«, fragte ich die beiden. Eigentlich eine überflüssige Frage, denn sie waren ziemlich nass. Ich sah Kevin an. »Wo warst du denn gestern? Ich wollte dich abholen.«
»Warum?«, fragte er zurück.
»Weil gestern Samstag war und ich das mit dem Haarewaschen wiederholen wollte.«
»War gestern Samstag?«, fragte Kevin.
»Wir können uns jetzt zu Hause die Haare waschen, wenn wir wollen«, berichtete Gonzalez. »Der Hoffmeister hat den Spoiler repariert.«
»Sieh mal an«, sagte ich staunend.
Henning betrachtete die beiden Kinder, die immer noch in der Tür standen. »Nun zieht mal die Jacken aus, die sind ja ganz nass«, befahl er. Umständlich wurschtelten sie sich aus den Jacken, und er brachte sie in den Flur. »Und dann setzt ihr euch dort aufs Sofa, und dann kriegt ihr erst mal was zu trinken.«
Dankbar sah ich ihn an. Ich war mir nicht sicher gewesen, wie erfreut er über diesen unerwarteten Besuch war, aber auf jeden Fall ließ er sich nichts anmerken, sondern holte zwei Gläser und eine Flasche Saft aus der Küche.
Kevin nahm sofort Platz,
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