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Alles auf Anfang Marie - Roman

Alles auf Anfang Marie - Roman

Titel: Alles auf Anfang Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Schroeder
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am schwierigsten zu argumentieren. Klar jammerte ich manchmal über meine Zipperlein, die Hitzewellen oder die PM S-Beschwerden , die merkwürdigerweise in letzter Zeit nicht besser, sondern eher schlimmer geworden waren. Aber deswegen war ich noch lange nicht unzurechnungsfähig, oder?
    Hatten eigentlich Männer so was gar nicht? Immerhin hatte Christoph mindestens genauso heftig pubertiert wie Lotta. Andererseits erinnerte ich mich an einen Freund meines Vaters, der mit Ende sechzig noch mal heiratete   – eine wesentlich jüngere Frau, versteht sich   – und prompt ein Kind zeugte. Gab das allen Männern, sogar meinem, das Recht zu einer entsprechend herablassenden Haltung gegenüber diesen armen Wesen, die irgendwann Anfang fünfzig zu einer Art biologischem Neutrum wurden?
    Als mir der Begriff »biologisches Neutrum« eingefallen war, dachte ich automatisch an Angelika. Ich bin mir nicht sicher, ob sie bewusst Diät gehalten hatte oder ob ihr persönliches Schicksal sie so dürr hatte werden lassen, aber sie hatte mit den Jahren alle weiblichen Rundungen verloren. Das war nicht schön. Ich musste rasch zwischendurch mal eben am Flurspiegel vorbei und mich davon überzeugen, dass mir das nicht auch gerade passierte.
    Meine Rundungen waren jedenfalls noch da. Zum Glück nicht im Überfluss, sondern ganz passabel. Das sind Gedanken, die ich mir früher nicht gemacht habe. Ich war immer wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich so bleiben würde, wie ich war: nicht zu fett, nicht zu faltig, nicht unbeweglich und vor allem auch im Kopf fit. Ich war stolz darauf, dass ich meinen Computer allein bedienen konnte und immer noch zu mindestens sechzig Prozent wusste, worum es ging, wenn unsere Kinder sich über Dinge wie »icq« oder die neusten Apps unterhielten. Ich konnte nicht verhindern, dass mein musikalischer Geschmack immer wieder zu BAP oder Genesis zurückfand, aber immerhin war ich mit zunehmenden Jahren kein Fan der Volksmusiksendungen einschließlich Trachtenmode geworden. Und ich hatte natürlich meine Toleranz bewahrt, von der gerade erwähnten Volksmusik vielleicht mal abgesehen.
    Trotzdem war es jetzt nötig, sich mit dem Älterwerden auseinanderzusetzen. Komisch. Bei allen anderen hätte ich erwartet, dass ihnen das klar war: Die Dinge ändern sich, die Kinder gehen aus dem Haus, die Eltern werden pflegebedürftig, die eigene Gesundheit lässt nach. Doch jetzt, wo es mir selbst passierte, fühlte ich mich ziemlich unbeholfen. So als hätte einer vergessen, mir die Spielregeln mitzuteilen, die alle anderen längst kannten.
    Als Henning kam und sich zu mir an den Esstisch setzte, hatte ich den Eindruck, dass auch er im Augenblick mit diesem Phänomen kämpfte. Konnte es sein, dass die Falten um seine Augen tiefer, die grauen Strähnen im Haar mehr geworden waren? Die Bartstoppeln, die sich im Laufe des Tages schon wieder vorwitzig um seinen Unterkiefer herum vorgewagt hatten, schimmerten auch nicht mehr dunkel, sondern eher silbrig.
    Ich wartete, bis er die Weinflasche geöffnet und uns eingeschenkt hatte. Ich hatte es wirklich nicht eilig damit, die unerfreuliche Diskussion von Montagabend fortzusetzen. Insgesamt fühlte ich mich müde; die dauernde Putzerei war doch sehr intensiv und anstrengend. Heute Mittag hatte ich mich einen Moment aufs Bett gelegt und war tatsächlich eingeschlafen. Wenn nicht der Eismann kurze Zeit später geklingelt hätte, wäre das vielleicht ein ausgiebiger Mittagsschlaf geworden.
    »Zum Wohl«, sagte Henning und hob sein Glas.
    Ich tat es ihm nach und rückte dann die Platte mit den Vorspeisen zurecht. »Guten Appetit.«
    Wir begannen zu essen, und auf einmal hatte ich Angst davor, dass sich bei uns langsam das große Schweigen einschleichen würde. Wenn man keine Lust auf kontroverse Themen hat, sonst aber nicht viel passiert ist, was man sich erzählen könnte, was tut man dann? Über Belanglosigkeiten reden? Über andere Leute tratschen?
    Henning räusperte sich. »Wir wollten uns ja unterhalten«, sagte er überflüssigerweise.
    »Ja, das wollten wir«, sagte ich schlecht gelaunt. »Ich wollte nur vorwegschicken, dass ich nicht bereit bin, mir wieder irgendwelche unqualifizierten Aussagen über Frauen in den Wechseljahren anzuhören.«
    Er sah mich irritiert an. »Was meinst du? Ich wollte nicht mit dir über die Wechseljahre reden. Ich habe in der Tat andere Probleme.«
    Seltsam, jetzt hatte ich im Prinzip erreicht, was ich wollte, aber diese Aussage

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