Alles auf Anfang Marie - Roman
tut also im Prinzip genau das Verkehrte«, stellte ich bekümmert fest. »Aber wenn man es nicht täte, ginge das zu Lasten der Kinder.«
»Genau so ist es«, sagte er. »Vermutlich ist das das Dilemma jedes Sozialarbeiters.«
Ziemlich niedergeschlagen fuhr ich nach Hause. Natürlich hatte ich wieder einen Schwung Wäsche mitgenommen. Mein Ziel war es, den Kleiderschrank der Kinder am Ende der Woche sauber und aufgeräumt zu haben. Ursprünglich hatte ich gedacht, auf diese Weise irgendwann in den nächsten Wochen die gesamte Wohnung so weit auf Vordermann zu haben, dass wir uns gemeinsam dem Thema »Babyausstattung« widmen konnten. Außerdem musste ich mit Nicole über Geld reden. Diesen Einkauf hatte natürlich ich bezahlt – und das würde mich auch nicht arm machen –, aber auf Dauer ging das nicht. Zumal ich ja auch wusste, dass sie Hannes eine große Summe schuldete, die vielleicht in kleinen Beträgen abbezahlt werden konnte.
Nach dem heutigen Gespräch war ich nicht mehr so sicher, ob das funktionieren würde. Aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Stattdessen packte ich am nächsten Morgen ein bisher ausgeklammertes Thema an – die beiden Räume, die ich bisher noch nicht kennengelernt hatte: Nicoles Schlafzimmer und das Bad.
Natürlich hatten Nuala und Gonzalez wieder nicht wie vereinbart am Abend vorher gespült, es andererseits aber auch nicht geschafft, so rechtzeitig aufzustehen und die Wohnung zu verlassen, dass ich sie nicht mehr zu fassen kriegte. Sogar Kevin war noch da und maulte herum, weil er nun zu spät in den Kindergarten kam, um das Frühstück mitzukriegen. Ich stellte die beiden Größeren ihrem heftigen Protest zum Trotz an die Spüle und setzte Kevin vor eine Schale Cornflakes, weil ich gestern die dafür nötige Milch mitgebracht hatte.
Dann bewaffnete ich mich mit meinen Gummihandschuhen und betrat das Bad. Es sah ungefähr so aus, wieich befürchtet hatte. Hier hatte schon längere Zeit niemand mehr saubergemacht. Nur dort, wo sich der Boiler befand, sah man Ansätze einer Reinigungsaktion – klar, Hannes hatte die Spuren seiner Reparatur beseitigt.
Ich erinnerte mich an die Panik, die mich immer erfasst hatte, wenn sich Handwerker bei uns zu früher Stunde angemeldet hatten. Dann war ich früher als sonst aufgestanden, damit alles ordentlich war und ich mich für nichts anderes zu schämen brauchte als für den Staub hinter dem Küchenherd, den ich nun beim besten Willen nicht hatte beseitigen können. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass Astrids Mann Bruno selbst Handwerker war und manchmal Geschichten zum Besten gab, in denen sehr kuriose Dinge vorkamen und Kunden, bei denen merkwürdige Zustände herrschten – zum Beispiel die Leute mit dem Sandhaufen im Wohnzimmer oder die, bei denen ein Dildo im Aquarium lag. Auch wenn er die Namen nicht preisgab, lief mir immer ein Schauer über den Rücken. So was sollte über mich und meinen Haushalt keiner erzählen können!
Nicole hatte diese Skrupel offensichtlich nicht. Das meinte Hannes also mit den unterschiedlichen Maßstäben. Und wenn ich noch versucht hätte, das dreckige Badezimmer mit ihrem Handicap zu erklären, dann wurde ich endgültig eines Besseren belehrt, als ich ihr Schlafzimmer betrat.
Niemand ist verpflichtet, wöchentlich sein Bett neu zu beziehen oder seine Schuhe immer paarweise hinzustellen. Aber ich konnte nicht umhin zuzugeben, dass dieses Chaos nicht erst seit ein paar Wochen herrschte.
Als Erstes riss ich mal das Fenster auf, denn der Mief allein war unangenehm. Die Bettwäsche auf der großen Matratze, die auf dem Boden lag, war speckig und von undefinierbarer Farbe, das Spannlaken in Fetzen.Die Matratze selbst mochte ich mir gar nicht so genau ansehen, aber sie machte auch keinen besonders sympathischen Eindruck. Nur konnte man sie nicht einfach in eine Mülltüte packen und wegwerfen, wie ich es nach kurzer Überlegung mit der Bettwäsche tat.
Vielleicht würde ich mich später nicht mehr so genau an die ganze Unordnung erinnern, aber bestimmt noch wissen, was mit dem Begriff »Messie« wirklich gemeint ist. Es waren nicht nur die überall verstreuten Kleidungsstücke, sondern dazwischen auch Kekstüten, leere Flaschen, Zeitschriften und ähnliches Zeug, das man wohl gelegentlich mitnimmt, wenn man es sich im Bett gemütlich machen will. Obwohl ich nicht der Typ bin, der das tut. Dieses Zimmer lehrte mich eine Lektion: Arme Menschen zeichnen sich nicht unbedingt dadurch aus,
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