Alles auf Anfang Marie - Roman
wenn ich Brustkrebs bekam. Zu dumm, dass der vermutlich erst ausbrechenwürde, wenn ich längst in Chongqing saß und gar nicht so viele Sudoku-Rätsel finden würde wie ich Zeit hatte, um sie zu lösen.
»Wann hatten wir denn die letzte Mammographie?«, fragte er jetzt mit einem kritischen Blick auf die Karteikarte. Bedenklich, wenn er solche Infos bei seinen eigenen Kritzeleien nicht mehr wiederfand!
Mammographie? Ich schauderte bei der Erinnerung daran. Man kann sich die Zeit nicht aussuchen, in der man lebt. Ich war ja wirklich dankbar dafür, dass es inzwischen gelungen war, die Pocken und das Kindbettfieber wirksam zu bekämpfen, nur schade, dass man noch nicht so weit war, Knoten in der Brust zuverlässig zu entdecken, indem man zum Beispiel eine iPhone-App dafür entwickelte. Stattdessen musste man diese mittelalterliche Folter über sich ergehen lassen, die bestimmt ein Mann erfunden hatte.
»Also ich hatte meine letzten Oktober«, sagte ich. »Und Sie?«
»Ha, ha«, machte er wieder. »Na, dann wollen wir uns das mal ansehen.«
Das hieß, dass ich mich in Kabine zwei begeben und mich »untenrum frei« machen sollte. Zum Glück war mir inzwischen bewusst, dass weite Röcke hier das ideale Kleidungsstück sind, damit man wenigstens den Weg bis zum Stuhl halbwegs würdevoll statt halbnackt hinter sich bringen kann.
Und ich wusste, dass Dr. Göbel die Gummifinger-Prozedur nicht unnötig in die Länge zog, schon im Hinblick auf das gut besetzte Wartezimmer. Dann rührte er mit einem Ultraschallkopf in mir herum und versuchte, mir anhand des grauen Rührteig-Bildes zu erklären, was jetzt gerade alles prima, unauffällig und vollkommen in Ordnung wäre. So gesehen sehr schön, aber dieses Mal hatteich ja ein bisschen mehr darauf gesetzt, dass er irgendwas bedenklich finden würde und ich deshalb auf keinen Fall nach China auswandern dürfte.
Und dann setzte er den absoluten Höhepunkt, indem er mich ganz leutselig fragte: »Haben Sie denn noch Verkehr?«
»Natürlich!«, schleuderte ich ihm entgegen. Es war schon ein bisschen traurig. Bei meinem allerersten Besuch beim Frauenarzt hatte mich nämlich der damalige Gynäkologe besorgt gefragt: »Hatten Sie denn schon Verkehr?« Ich kam mir vor, als hätte sich hier ein Kreis geschlossen. Als ich mit neunzehn genau aus diesem Grund dort auftauchte, hatte ich gerade meinen ersten Freund, wollte sehr verantwortungsvoll etwas für die Verhütung tun und kam mir so vor, als würde mein Leben so richtig losgehen. Inzwischen hatte sich das Thema Verhütung erledigt, ich hatte das Gefühl, dass mir ein eher unerfreulicher Abschnitt meines Lebens drohte, und nun wollte mein Arzt auch noch andeuten, dass möglicherweise mein Sexleben zu Ende sein könnte?
Er war offensichtlich auch über meine heftige Reaktion verblüfft. »Dann haben Sie wohl keine Probleme mit Trockenheit oder Schmerzen …«
»Nein!!«, versicherte ich ihm ebenso nachdrücklich. Das fehlte mir gerade noch.
Von der Praxis bis zu der Städtischen Galerie, in der Hilde arbeitete, war es nicht weit. Ich hatte mich – endlich mal! – mit ihr dort verabredet, weil sie gerade eine Ausstellung mit dem Thema »Leinwand-Frauen« durchführten. Das bezog sich nicht auf Filmstars, sondern auf eine Gruppe von Malerinnen aus der Region. Es interessierte mich, weil ich ja auch schon mal mit dem Gedanken gespielt hatte, in dieser Richtung einen Kurszu besuchen. Da wollte ich doch wenigstens mal sehen, was man in dieser Hinsicht mit ein bisschen Anleitung erreichen konnte.
Hilde musterte mich überrascht. »Du im Kostüm?«, stellte sie fest. »Dachtest du, hier wäre heute der Eröffnungsevent?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich komme gerade von der Krebsvorsorge.«
Das erklärte für sie alles. »Und? Das Untergeschoss in Ordnung?«
»Bin noch mal durch den TÜV gekommen.«
»Na, dann sieh dich mal um«, sagte sie. »Diese Bilder könnte man aber auch mit Jeans und Pullover betrachten.« Ihr abfälliger Ton sagte mir genug. Die Leinwand-Frauen verfügten offensichtlich nicht über die Qualität, die Hilde erhofft hatte.
Ich verstehe nicht viel von Kunst, aber auch mir wurde bald klar, dass sich hier Leute darstellten, die noch ein bisschen üben mussten. »Sag mal«, fragte ich Hilde, während wir langsam von Bild zu Bild schlenderten, »warum müssen die eigentlich alle Blumen malen? Ist das sozusagen die Einstiegsdroge, wenn man mit dem Malen anfängt?«
Hilde schüttelte grimmig den
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