Alles auf Anfang Marie - Roman
reden.«
»Wirklich?« Ihr Gesicht hellte sich auf.
»Na klar! Ich hatte keine Ahnung, wie viel dir das bedeutet. Ehrlich gesagt dachte ich immer, das wäre nur so ein Job, um dir die Zeit zu vertreiben. Wie du gerade selber gesagt hast, damit du was um die Hand hast.«
Hilde schmunzelte. »Das dachte ich ursprünglich auch. Als ich den Job anfing, glaubte ich, es ginge nur darum, dass jemand vor Ort ist und aufpasst, dass die Bilder nicht geklaut werden. Aber dann … weißt du, dann kamen manchmal Leute und wollten mit mir über die Werke sprechen. Und ich kam mir so unsäglich dumm vor. Ich hatte keine Ahnung.«
»So hörte sich das gerade aber nicht an«, sagte ich.
»Inzwischen ist das auch was anderes. Ich habe mir jede Menge Bücher besorgt und in der Galerie gelesen, und vor ein paar Jahren hab ich auch einen Fernkurs gemacht.«
Kaum zu glauben, dass dies dieselbe Frau war, die bei ihren Einladungen stundenlang nur über Badezimmerausstattungen referierte und sich über Designerklamotten ausließ! »Das wusste ich alles gar nicht, Hilde! Du redest nie darüber.«
Jetzt verdunkelte sich ihr Gesicht. »Das ist ein bisschen schwierig«, sagte sie. »Weißt du, Peter ärgert sich immer darüber, wenn ich mit diesen Themen anfange. Deswegen habe ich es mir abgewöhnt, zu Hause darüber zu sprechen.«
Ich riss ungläubig die Augen auf. »Wieso das denn? Immerhin hat er dir doch den Job besorgt!«
»Klar. Aber er konnte nicht ahnen, was sich daraus entwickelt. Manchmal denke ich, es ärgert ihn, dass ichjetzt einen Bereich habe, in dem ich mich gut auskenne und er hat keine Ahnung davon.«
Es war nicht besonders taktvoll, aber ich fragte es trotzdem. »Ist das der Grund, weshalb bei euch zu Hause keine von diesen Bildern hängen?«
»Na klar. Peter würde mich nie etwas aussuchen lassen, ohne dass ein Innenarchitekt mitentscheidet. Und selbst dann würde er wahrscheinlich immer darüber herziehen. Dazu habe ich keinen Nerv. Also halte ich die Klappe, lese meine Fachliteratur in der Galerie, und damit hat es sich.«
»Oh«, sagte ich etwas ratlos. So was würde ich vermutlich auf Dauer nicht aushalten. Klar, im Moment war mein Verhältnis zu Henning auch nicht ganz ungetrübt. Über uns hing immer noch dieses dämliche Telefongespräch zum Thema Wechseljahre, die Tatsache, dass ich ihn über meinen Besuch bei der Arbeitsagentur nicht informiert hatte, mein Engagement bei der Familie Nowakowski und neuerdings auch die China-Frage. Es würde sicher eine Weile dauern, bis wir das alles durchsortiert und auf die Reihe gekriegt hatten, aber sechs Jahre … »Ich glaube, das könnte ich nicht.«
»Man kann vieles«, erklärte Hilde. »Vor allem, wenn man nicht den Rest seines Lebens allein verbringen will. Und so übel ist Peter nicht, auch wenn er manchmal etwas überreagiert.«
»Was meinst du mit überreagiert?«, entfuhr es mir. Es wäre ja nicht der erste Fall, wo häusliche Gewalt hinter einer gutbürgerlichen Kulisse stattfand, und niemand ahnte etwas davon.
»Na ja … Peter hat halt viel Stress. Und da gibt es Reizthemen, die ich einfach nicht mehr anspreche, und so lange ist dann Ruhe im Haus. Sonst kann es sein, dass er ein bisschen ausflippt und rumbrüllt oder mal überNacht verschwindet. Alles, was mit Kunst zu tun hat, ist ein Tabubereich. Aber damit kann ich leben.«
So, damit konnte sie leben? Konnte sie einfach ausblenden, wie chaotisch und bescheuert das war? »Was sagt er denn dazu, dass du immer noch in der Galerie arbeitest?«
»Oh, das ist kein Problem«, versicherte sie mir. »Damit kann er sich doch schmücken. Macht sich jedenfalls besser, als wenn ich wieder im Schuhgeschäft arbeiten würde. Ich kann auch zu Ausstellungen fahren, vor allem wenn andere Frauen mitkommen. Das ist doch so was Typisches. Frauen wie wir tun halt so was. Das findet er gut. Dafür zuckt er auch nicht mit der Wimper, wenn ich mal spontan meine Kreditkarte einsetze.«
Aha, deshalb der schicke BMW und die Designerhandtaschen. Das war also auch ein Teil von seinem Selbstbild: Erfolgreicher Mann kann sich Frau mit teurem Geschmack leisten.
»Nur die Kunstbücher und das Abo für diese Spezialzeitschrift, das läuft nicht über unser Konto«, fuhr Hilde fort.
»Das bezahlst du sicher von deinem Gehalt«, vermutete ich.
»Nein, das ist etwas komplizierter«, sagte sie. »Denn mein Gehalt läuft ja auch über unser Konto. Sowas muss ich bar bezahlen. Aber das ist kein Problem, weil ich regelmäßig
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