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Alles auf Anfang Marie - Roman

Alles auf Anfang Marie - Roman

Titel: Alles auf Anfang Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Schroeder
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Kopf. »Ganz genau weiß ich es natürlich nicht«, sagte sie. »Aber ich habe da eine Theorie. Die meisten Frauen finden Blumen schön, und als Anfänger möchte man halt was Schönes malen.«
    »Klingt einleuchtend«, meinte ich und blieb vor einem pastösen Werk stehen, das eine Vase mit Tulpen zeigte. »Aber ist das denn falsch?«
    »In der Kunst geht es nicht um schön oder nichtschön«, erklärte sie. »Sondern um eine Aussage. Wenn der Künstler es schafft, diese Aussage auch noch ästhetisch ansprechend zu gestalten, umso besser, dann werden sich dieLeute das in die Wohnung hängen. Aber so weit kommen sie in diesen VH S-Kursen vermutlich nicht.«
    Ich war überrascht, zum einen wegen der Schärfe der Aussage an sich, zum anderen, weil ich bisher selten von Hilde ein so engagiertes Statement gehört hatte. Wenn wir uns trafen, ging es meistens um Mode oder Bekannte, Klatsch und Tratsch eben. Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass die Arbeit in der Galerie für sie mehr war als eine gesellschaftlich akzeptable Weise, Zeit totzuschlagen.
    »Aber es gibt doch so viele schöne Bilder«, wandte ich ein.
    »Natürlich«, stimmte sie mir zu. »Aber die sind nicht deshalb so toll, weil Nolde oder Monet oder van Gogh sich überlegt haben ›Ich mal jetzt mal was Schönes‹, sondern weil sie die Technik hatten und das Auge. Sie haben etwas wahrgenommen, das sie unbedingt darstellen wollten, und wir sehen es und empfinden, dass es eine große Kraft hat.«
    »Hm«, machte ich nachdenklich und betrachtete das nächste Bild. Obwohl es knallroten Klatschmohn in einer blauen Vase darstellte, spürte ich diese Kraft nicht. »Glaubst du denn, dass man es irgendwann schaffen kann, wenn man von hier aus gestartet ist?«
    »Weiß ich nicht«, sagte sie zweifelnd. »Kommt drauf an, wohin man es schaffen will. Wenn man gut genug sein möchte, um irgendwann die Omas der Familie naturgetreu zu malen, dann können Malstunden sicher sehr hilfreich sein. Manche Leute verdienen sogar richtig viel Geld mit so was.«
    »Na ja, ich meinte eher die Anerkennung der Kunstwelt.«
    »Das ist etwas sehr Subjektives«, gab sie zu bedenken. »Der eine lobt ein Bild, der andere findet es schrecklich.«
    »Und woran misst man es dann? Was macht Kunst zur Kunst?«
    Hilde lachte. »Das kann ich dir auch nicht sagen. Aber ich zeig dir mal was.« Sie ging in einen Nebenraum, der zur Besichtigung nicht freigegeben war, und kam mit einem Bild zurück, das sie unter das mit den Tulpen stellte. Es war ebenfalls mit extrem dicken, pastösen Farben gemalt, aber hier endete die Ähnlichkeit. Es gab keine bunten Farben, nur Grau, Schwarz und Braun, eine Kombination, die schon nichts Gutes erwarten ließ. Zunächst erkannte man nichts, erst nach genauerer Betrachtung konnte man die minimale Andeutung eines menschlichen Umrisses erkennen, eine Gestalt von hinten, die sich   – zumindest hatte ich das Gefühl   – vom Betrachter entfernte. Mehr nicht, und doch sprach es mich auf eine ganz seltsame Weise an.
    »Das ist das traurigste Bild, das ich seit langem gesehen habe«, sagte ich betroffen.
    Hilde atmete tief aus. »Ich hatte gehofft, dass du mich verstehen würdest«, sagte sie. »Du merkst den Unterschied?«
    Ich nickte. Es war schon beeindruckend, man wollte das Blumenbild gar nicht mehr sehen, obwohl es viel farbenfroher war, viel unkomplizierter.
    »Wer hat das gemalt?«, wollte ich wissen.
    »Ein alkoholkranker Rumäne, dessen Geschichte mindestens genauso traurig ist wie dieses Bild«, sagte Hilde. »Das kauft sich natürlich niemand fürs Wohnzimmer, wenn er nicht gerade seine Frau in den Selbstmord treiben möchte. Aber ich hoffe immer noch, dass sich eines Tages jemand findet, der sich des Bildes erbarmt.« Sie sah auf die Uhr. »In zehn Minuten kann ich zumachen. Gehen wir noch in die Stadt und essen eine Kleinigkeit?«
    »Gern«, sagte ich. Ich konnte mich kaum von demGemälde losreißen, obwohl Hilde natürlich recht hatte: In einem Wohnzimmer   – in unserem Wohnzimmer   – konnte ich es mir schlecht vorstellen. »Ich muss sowieso noch in die Stadt, einen Koffer kaufen.«
    »Warte lieber noch zwei Wochen«, riet Hilde mir. »Ich weiß von meiner Schwägerin, dass Leder-Beitz demnächst schließen wird und einen großen Räumungsverkauf macht.«
    »Ich brauche aber jetzt einen«, sagte ich. »Christoph hat unseren guten Samsonite natürlich mitgenommen.«
    »Ich wusste gar nicht, dass ihr in Urlaub wollt?« Wie viele Frauen in meinem

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