Alles auf Anfang Marie - Roman
Bernhard einschloss. »Genau. Ich denke, du kannst dich daran erinnern, wie traurig du warst, als du dachtest, du könntest nicht mit in den Zoo.«
Ein minimales Nicken. Ganz so einfach wollte er es mir wohl nicht machen. »Das hat mir leidgetan, deshalb habe ich dir geholfen. Und jetzt erinnere dich bitte daran, wie traurig dein Bruder war, als ich aus Versehen seine Schalke-Kappe weggeschmissen hatte.«
»Aber ich war auch traurig«, sagte er. Gar nicht so dumm, der Knabe.
»Sicher, aber ich glaube, du wusstest auch, dass das seine Kappe war. Wenn du ihn vorher gefragt hättest, ob du die mitnehmen darfst – hätte er ja gesagt?«
Kevin schwieg. Ich nahm das mal als Nein. »Jedenfalls hat uns das sehr leidgetan zu sehen, wie traurig Gonzalez war. Wir wussten ja nicht, was es damit auf sich hatte. Dass das die Glückskappe von seinem Vater war. Und deshalb hat mein Mann das Trikot für Gonzalez besorgt.«
»Und für mich nich.«
»Was ich sagen will«, fuhr ich fort, »jeder hat mal einen Moment, wo er traurig ist und wo vielleicht jemand anderes die Möglichkeit hat, ihn wieder fröhlich zu machen. Dich mit dem Geld für den Zoo, deinen Bruder mit dem Trikot. Und das muss man dem anderen dann auch mal gönnen. Verstehst du das?«
»Hm«, machte er. Vermutlich hatte er wenig Lust auf Verständnis.
»Übernächste Woche wirst du eingeschult«, sagte ich. »Freust du dich darauf?«
Er nickte.
»Das ist dann wieder dein Tag«, sagte ich. »Dann muss Gonzalez zugucken, wie sich alles um dich dreht. So ist das im Leben.«
Er rutschte vom Bett und kroch darunter, um kurze Zeit später mit einer leicht angestaubten lilafarbenen Scheußlichkeit von Schulranzen wieder aufzutauchen. Grüne Raketen flogen zwischen Sternen in allen Farben umher. »Guck mal«, sagte er stolz. »Und die is ganz neu!«
Ich nickte, dachte aber: Dafür hatte Nicole also Geld gehabt – ich wusste schließlich noch gut, wie teuer diese Dinger waren. »Na also«, sagte ich, »dann hast du doch wohl auch was Tolles bekommen, oder?«
Kevin nickte. »Nuala hatte keine neue Tonne, als sie in die Schule kam. Die musste die von Gonzalez nehmen. Und die hat sie immer noch, deshalb hab ich jetz die hier gekriegt.«
Ich machte eine gedankliche Notiz bezüglich der Farbe. Schließlich sollte ja die Schultüte dazu passen. »So, dann können wir jetzt wieder da reingehen, und du deckst den Tisch?«
»Wenn’s sein muss«, seufzte er und schob den Ranzen wieder unter sein Bett.
»Muss sein«, sagte ich. »So ist das Leben.«
Als ich nach Hause kam, hatte mir Henning eine Nachricht auf Band gesprochen. Zunächst mal rügte er mich, dass ich mein Handy nicht eingeschaltet hatte. Überrascht zog ich es aus der Tasche und stellte fest, dass es sich selbst abgeschaltet hatte, weil der Akku leer war. Mit schlechtem Gewissen hängte ich es an die Ladestation.Dann, fuhr mein Mann mit grantiger Stimme fort, habe sich sein Terminplan verschoben und er müsse bereits am Sonntagmittag wieder los, einen Flieger nach Stockholm kriegen. Dafür brauchte er – das war mir sofort klar – mehrere ordentliche Hemden, ein Paar Schuhe, das noch zum Besohlen beim Schuster war, und seinen dunkelgrauen Anzug.
Für mich bedeutete das, jetzt zügig in die Hufe zu kommen. Über der ganzen Nowakowski-Wäsche hatte meine eigene etwas zurückstehen müssen. Rasch brachte ich eine Ladung Weißes ans Laufen und fuhr zum Schuster und in die Reinigung. Natürlich waren die Schuhe noch nicht fertig, aber die Schustergattin versprach mir, bis morgen werde das geschehen.
Ich kam nach Hause und wollte rasch die Waschmaschine ausräumen, das Weiße in den Trockner stecken und eine Ladung Dunkles waschen. Aber leider schwappte die weiße Wäsche noch in ihrer Lauge, weshalb sich die Tür der Maschine nicht öffnen ließ.
Ich ahnte, was passiert war: Das Flusensieb war verstopft. Dafür musste man die Lauge über einen Schlauch ablaufen lassen und das Sieb ausbauen, um es zu reinigen. Früher war das häufiger der Fall gewesen, weil sich immer mal Papiertaschentücher in Hosentaschen versteckt hatten oder kleine Spielzeugteile meiner Kontrolle entgangen waren. Inzwischen war das viel seltener nötig, und ich hatte noch vor kurzem das Sieb meiner halbjährlichen prophylaktischen Inspektion unterzogen. Aber nun schien es schon wieder erforderlich zu sein, weil ich wieder Kindersachen wusch.
Ich unterzog also das Flusensieb einer Grundreinigung, wobei ich tatsächlich
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