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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benioff David
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Buntglasdeckenimitation in einem jüdischen Delikatessengeschäft zu suchen? Aber sie gefiel mir, mir gefielen die aufgemalten Zweige, der aufgemalte blaue Himmel, das herabfallende weiche Licht.
    Die jungen Leute um mich herum waren laut und aufdringlich, brüllten nach der Kellnerin, stampften mit den Stiefelabsätzen, stießen aus vollem Hals Beleidigungen aus, liefen von Tisch zu Tisch, tauschten Telefonnummern aus, prahlten mit ihren Plänen für das Wochenende. Ich mochte sie. Sie alle wollten etwas, und die meisten würden es nie bekommen. Ich kannte keinen einzigen Menschen im Restaurant, aber ich wusste, was sie waren: Schauspieler und Musiker und Autoren und Komiker und Regisseure. Die meisten gaben diese Berufe nicht auf ihrer Einkommensteuererklärung an, und die meisten würden dies auch nie tun, aber genau das waren sie.
    Ein paar Minuten lang mochte ich sie an diesem Abend alle. Ich wollte sie beschützen. Sie wirkten so jung und tapfer, verwegen selbstbewusst, so großspurig und viril und amerikanisch. Sie alle wollten Stars werden, und sie probten schon ihre Rollen, überzeugt, dass man sie beobachtete, dass man sich für sie interessierte. Sie waren Optimisten, und wenn sie keine Optimisten waren, dann taten sie zumindest so, und sie glaubten fest daran, dass irgendwo ein Mann im Anzug nur darauf wartete, ihre Gesichter zu sehen oder ihre
Songs zu hören oder ihre Drehbücher zu lesen, und der Mann im Anzug würde nicken und sagen: Ja. Nur dass es nicht genug Jas für alle gibt.
    Mitten in meiner Träumerei war das Mädchen mit dem Leopardenfellhütchen mir gegenüber in meine Nische geschlüpft. Sie beugte sich über die Schale mit den Pickles und flüsterte: »Wir wollten Sie nur wissen lassen, dass Sie für uns die Größte sind.«
    Ich starrte sie ihn. Ihre Haut war sehr blass, fast durchscheinend. Ich konnte das feine blaue Geflecht der Adern an ihren Schläfen sehen. Sie trug eine Halskette aus künstlichen Smaragden.
    »Sagen Sie es ruhig, wenn ich Sie störe«, sagte sie rasch. »Ich bin keine Psychopathin, ehrlich. Aber wir haben Sie alle beobachtet, und ich musste einfach rüberkommen. Ist das okay?«
    »Nur zu. Möchten Sie ein Gürkchen?«
    »Ich hatte schon vier. Warum essen Sie allein?«
    »Tja«, sagte ich, »mein Freund hat mir gerade einen Antrag gemacht, und ich bin weggelaufen. Und weil ich Hunger hatte, bin ich hier reingekommen.«
    »Klar«, sagte sie und nickte, als ob sie diese Antwort erwartet hätte, als ob die meisten Gäste im Canter’s gerade vor einem Heiratsantrag geflüchtet wären. »Ich finde, es ist eine Schande, ja kriminell, dass sie St. James Infirmary abgesetzt haben. Das war die beste Serie aller Zeiten.«
    »Ach. Ach so . Vielen Dank. Sie hat großen Spaß gemacht.«
    »Und ich wollte Ihnen nur sagen, und zwar von uns allen« - sie deutete auf ihren Tisch am anderen Ende des Lokals, und ihre Freunde winkten mir zu -, »wir meinen alle, dass Sie
wirklich klasse sind und dass Sie nicht traurig sein sollten, weil Sie ganz bestimmt bald was anderes finden. Wir sind alle große Fans von Ihnen. Könnte ich vielleicht, ich weiß, das ist ziemlich unverschämt, tut mir leid, aber …«
    Sie hielt einen Kugelschreiber hoch und sah mich nervös an.
    »Gern«, sagte ich und nahm den Kuli. »Wie heißen Sie?«
    »Mira. M-I-R-A.«
    Ich zog eine Papierserviette aus dem Spender und begann zu schreiben.
    »Sind Sie Schauspielerin, Mira?«
    »Ja! Ich meine, ich will es werden. Ich habe mir sogar gerade einen Agenten genommen.«
    »Gratuliere.« Ich gab ihr die Serviette, und sie las laut vor.
    »Mira: Wenn Sie Ihren Oscar entgegennehmen und Ihre Rede halten, möchte ich, dass Sie mir danken, und ich möchte, dass Sie allen erzählen, dass ich gesagt habe, dass Sie ihn bekommen werden. Ihre Cassie Whitelaw.«
    Sie blickte zu mir hoch, die braunen Augen weit aufgerissen, die blassen Wangen gerötet.
    »Das ist einfach fantastisch. Vielen Dank! Glauben Sie wirklich, dass ich eine Chance habe?«
    »Ja«, versicherte ich ihr. »Ja.«

LEONARD UND ICH
    »Ich habe seine Asche mit nach Hause genommen. Er will, dass sie in den Neversink geschüttet wird. Das ist verboten, aber so will er es nun mal.«
    »Neversink?«
    »Das ist ein Stausee«, sagtest du. »Oben in den Catskills, wo er geboren ist.«
    Das war gewissermaßen die Einführung; das war an dem Abend, an dem wir uns kennenlernten. Michael, vom Scotch schon betrunken, hatte uns von hinten beim Nacken gepackt und mit der Stirn

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