Alles auf dem Rasen
zusammenleben. Es bleibt aber wishful thinking zu glauben, man könne quasi jedes beliebige Kriegsgebiet – erst recht ein europäisches – mit ein paar Truppen, etwas Geld und einem gerüttelten Maß Demokratie in einen Paradiesgarten verwandeln. Der Vergleich mit dem deutschen Wiederaufbau nach Ende des Zweiten Weltkriegs führt hier zu einem verzerrten Blick auf die Wirklichkeit. In aller Kürze gesagt: Das deutsche Volk war sich nach 1945 weitgehend einig in seiner Täter- und Verliererposition, es gab keine vergleichbaren internen Konfliktlinien, und die allseitigen Bemühungen um Demokratieaufbau und internationale Integration spielten zudem in einer völlig anderen Liga.
Leider wird das Konzept nation building von der internationalen Gemeinschaft aus Legitimationsgründen – erst militärisch eingreifen, dann zivil verwalten – als eine funktionierende Methode zur friedlichen Staatenerschaffung gepriesen. In der Realität ist dieses Vorgehen nicht mehr als ein Feldversuch, der sich in seinen verschiedenen Anwendungsfällen bislang weder als gescheitert noch als erfolgreich erwiesen hat. Im Kosovo vereint UNMIK, verkörpert und vertreten durch den Special Representative , praktisch alle staatlichen Kompetenzen in einer Hand. Dies wird für erforderlich gehalten, um ein zerstrittenes Volk durch eine dritte, mehr oder weniger neutrale Instanz zu verwalten. Bei Einrichtung einer solchen Besatzungszone zum Zweck der Demokratisierung gerät jedoch in Vergessenheit, dass ein Land oder eine Region das demokratische Zusammenleben nur in eigener Verantwortung erlernen kann. Es gibt Geldmitteltransfers und Investitionen; einen wirtschaftlichen Aufbau allein von außen kann es jedoch nicht geben. Ein Volk wird sich nicht als ganzes, geeintes Gebilde mit seinem Gemeinwesen identifizieren, wenn die gesamte Souveränität in Händen eines fremden Hoheitsträgers liegt. In solch einem politischen Terrarium schwelen Konfliktherde unter internationaler Aufsicht. Lokale Autoritäten müssen sich nicht in die Pflicht nehmen lassen; wenn etwas schief geht, wird nach UNO und NATO um Hilfe geschrien. Im Zweifel tragen die Internationalen die Schuld und haben versagt.
In Ermangelung eines konkreten, auf Erfahrungswerten beruhenden Programms zur Konsolidierung von Bürgerkriegszuständen ist sich die internationale Verwaltung in Bosnien und im Kosovo nicht einmal darüber im Klaren, ob sie die verfeindeten Volksgruppen mittelfristig trennen oder zur Einigkeit zwingen will. Die neuen offiziellen und inoffiziellen innerstaatlichen Grenzen befestigen die demographisch homogenen Ergebnisse der ethnischen Säuberungen. Gleichzeitig soll ein Zerfallen der Staaten durch Sezession verhindert werden. Flüchtlinge werden an ihre früheren Wohnorte zurückgebracht, ohne zu berücksichtigen, dass diese Dörfer durch Angehörige der anderen Nationalität »gereinigt« und besetzt wurden. Politische Gremien werden paritätisch besetzt und führen daraufhin ein Dasein in Blockade und Handlungsunfähigkeit. Nicht selten ergibt sich aus den Bemühungen um Beilegung des inneren Streits ungewollt eine Aufrechterhaltung der Feindseligkeiten, weil den Parteien ein Agieren im geschützten Raum ermöglicht wird. Das Konzept nation building ist nicht nur nicht ausgereift – es ist eigentlich gar nicht vorhanden.
Wie stets könnte man vieles besser machen. Mit Blick auf die Unruhen im Kosovo will ich aber in erster Linie daran erinnern, dass Kriege und Nachkriegszustände auf unerfreuliche Weise »normal« bleiben, auch in Europa, auch heutzutage, und dass die Behauptung, man könne ein solches Problem schnell und kosmetisch lösen, immer ein Irrtum, wenn nicht gar eine Lüge ist. Wer in eine militärische Auseinandersetzung eingreift mit dem Ziel, für dauerhafte Befriedung zu sorgen, braucht jede Menge Geduld, Durchhaltevermögen und Geld. Zwischenfälle und Rückschläge müssen ernstgenommen werden, sie dürfen aber nicht zu panischen Reaktionen, verfehlten Schuldzuweisungen oder ungerechten Verallgemeinerungen führen. Der ganz überwiegende Teil der Kosovaren, gleich ob Serben oder Albaner, will Frieden, nicht Krieg. Vielleicht kann ein Mitdenken der erwähnten Hintergründe zu einer nüchternen Betrachtung führen. Wir sollten uns hüten, von außen zu einem erneuten Aufheizen der Teufelskreisläufe aus Schuld, Angst und Aggression beizutragen.
2004
GESELLSCHAFT
1 bande von räubern, verbrechern, bösewichten
2 bildlich, von thieren,
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