Alles auf eine Karte
nicht auf Bäumen.« Das für Mädchen wie dich blieb ungesagt.
»Ich weiß, Dad. Hör mal, ich muss jetzt auflegen, okay?«
»Schon klar, Kleines. Ich wünsche dir einen schönen Abend.«
Ich legte auf, schloss die Augen. Ich würde mir meine Partylaune nicht verderben lassen.
Als ich die Augen wieder aufschlug und mich umsah, staunte ich über den Kontrast zwischen meiner noblen Umgebung und dem unschönen Gespräch, das ich gerade geführt hatte. Die Toiletten waren mit Marmorboden ausgestattet und der Boudoir-ähnliche Vorraum war mit einem teuren goldfarbenen Teppich ausgelegt. An den Wänden standen Plüschsofas in Weinrot, Dunkelgrün und Honiggelb und mehrere zierliche Frisiertische, über denen elegante Spiegel mit goldenen Rahmen hingen.
Ich ließ mich auf einem weinroten Samthocker vor einem der Frisiertische nieder, stellte mein Glas ab und betrachtete mein Spiegelbild. Die vergangenen drei Messetage – und nicht zuletzt das Telefonat mit meinem Vater gerade eben – hatten Spuren hinterlassen, die dringend beseitigt oder zumindest ein wenig kaschiert werden mussten. Ich entnahm meiner Handtasche die nötigen Utensilien, bürstete mir die Haare und trug frische Wimperntusche, einen Hauch zartrosa Rouge und dunkelroten Lippenstift auf. Nur weil mich Chad der Barkeeper Madame genannt hatte, gehörte ich noch lange nicht zum alten Eisen. Ein Hoch auf den Erfinder des Abdeckstifts!
So, nun konnte der Spaß losgehen. Ich begab mich wieder in den Festsaal, der sich mittlerweile gefüllt hatte. In der letzten Viertelstunde waren mehrere Hundert Gäste eingetroffen. Ob ich Penelope dazwischen wohl je wiederfinden würde? Die Band hatte zu spielen begonnen, doch die Tanzfläche war noch leer; die Leute drängten sich am Büfett und an den Bars.
Ich beschloss, mir noch einen Cocktail zu holen, allerdings nicht mehr bei Chad. Ich reckte den Hals und steuerte dann auf die einzige Bar zu, hinter der ich ausschließlich weibliche Barkeeper ausmachen konnte. Ich wollte auf keinen Fall noch einmal das Risiko eingehen, zur alten Schachtel abgestempelt zu werden. Während ich wartete, spielte die Band Hungry Like the Wolf von Duran Duran. Schließlich kam ich an die Reihe, und eine zierliche Blondine erkundigte sich mit einem breiten Lächeln und einem dicken Südstaatenakzent: »Was darf es sein, Miss?«
»Ein Rookie, bitte«, sagte ich und lächelte ebenso freundlich.
Mit einem vollen Glas ausgestattet, ließ ich den Blick über die Menschenmassen gleiten. Ob wohl die Leute von JAG schon da waren? Der Saal füllte sich immer mehr, aber ich sah weit und breit niemanden, den ich kannte, abgesehen von einigen berühmten Sportlern. Nebst zwei Spielern der Red Sox und einiger Receiver der Steelers erspähte ich eine Kunstturnerin, die an den olympischen Spielen teilgenommen hatte. Sie war kaum einen Meter fünfzig groß und sah aus, als sei sie noch nicht alt genug, um Auto zu fahren, geschweige denn, um alkoholische Getränke zu sich zu nehmen.
Ich schlenderte ein Weilchen umher auf der Suche nach vertrauten Gesichtern. Vergeblich. Ich stellte fest, dass mein Glas schon wieder fast leer war und sah auf die Uhr. Kein Wunder, dass ich mich ein bisschen beschwipst fühlte; ich hatte das Mittagessen ganz ausgelassen und auch abends nicht allzu viel gegessen. Also auf zur heißen Schlacht am kalten Büffet. Ich begutachtete das Angebot und häufte schließlich ein paar Käsewürfel und Cracker auf einen winzigen Partyteller.
Ich steckte mir einen Cracker in den Mund, stellte mich auf die Zehenspitzen, reckte den Hals und hielt weiter nach meinen Freunden und Kollegen Ausschau, ohne Erfolg. Allmählich fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Es kam mir so vor, als würden mich alle Anwesenden anstarren und sich fragen, wer wohl die Alte mit den dunkelrot angemalten Lippen war. Ich spürte, wie sich meine Wangen röteten und meine Selbstsicherheit dahinschwand.
»Hallo, schöne Frau. Ich muss sagen, Sie sehen ganz schön knackig aus in diesen Jeans.«
Ich sah nach rechts – und dann ein Stück nach unten – und erblickte einen heftig transpirierenden Mann mittleren Alters, der offenbar die vergangenen zwanzig Jahre täglich bei McDonald’s gegessen hatte. Er war kaum mehr als einen Meter fünfundsechzig groß und hatte eine Glatze, was der quer über den kahlen Schädel frisierte, kümmerliche Rest seines Kopfhaars wohl kaschieren sollte. Der Kragen seines weißen Hemds saß so eng, dass die Haut am Hals Falten
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