Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
auf einer höheren Daseinsebene vollzogen als die von uns Normalsterblichen.«
»Das hört sich an, als ob ich richtig nerven würde.« Ellen war gekränkt, was Julia und Madeline nicht merkten; sie waren zu beschäftigt damit, sich das erste Mal sympathisch zu finden.
»Ach was, so sehr nervst du nun auch wieder nicht. Okay, ich zuerst«, sagte Julia. »Die Familie der Verstorbenen?«
»Sollten wir uns nicht darauf konzentrieren, schnell und effizient zu essen?«, schlug Ellen vor, als der Kellner an ihren Tisch eilte, drei riesige Teller auf seinem Unterarm balancierend.
»Lassen wir das Kino doch ausfallen«, meinte Madeline. »Warum bleiben wir nicht einfach gemütlich hier sitzen?«
»Hervorragende Idee.« Julia setzte sich bequem hin und lächelte Madeline zu.
Ellen beobachtete die beiden, wie sie mit dem Kellner sprachen, klarstellten, wer welches Gericht bekam, sich dann höflich zurücklehnten, damit er den Reis servieren konnte. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie ähnlich sich die beiden Frauen im Grunde waren. Hinter ihrer abgeklärten Fassade verbarg sich eine Persönlichkeit, die jederzeit bereit war, sich zu verteidigen, die keine Kritik zuließ. Ich bin diese Sorte Mensch, und deshalb glaube ich das, denke das, tue das, und ich habe recht, recht, recht, ich habe immer hundertprozentig recht!
Aber vielleicht tat das jeder bis zu einem gewissen Grad. Vielleicht waren Erwachsene nichts weiter als Kinder, die sich jeden Morgen gewissenhaft als Erwachsene kostümierten und sich dann entsprechend verhielten. Vielleicht gehörte das zum Erwachsensein dazu. Oder aber Ellen empfand ihre eigene Persönlichkeit als weniger klar definiert als jene Madelines und Julias.
Vielleicht war das alles aber auch nur totaler Blödsinn, und Madeline und Julia waren einfach nur sie selbst. Ellen musste immer alles hinterfragen, sie konnte nie etwas einfach nur akzeptieren, und das ging ihr in letzter Zeit ganz schön auf die Nerven. Sie wurde ungeduldig mit sich und verstand nicht, warum das so war. Es kam ihr so vor, als lehnte sie sich plötzlich grundlos gegen eine liebe alte Freundin auf.
»Das muss furchtbar unangenehm gewesen sein«, sagte Madeline. »Die Begegnung mit Patricks ehemaligen Schwiegereltern, meine ich.«
»Glaubst du, sie hassen dich?«, fragte Julia. »Weil du den Platz ihrer geliebten Tochter einnimmst?«
Ellen schüttelte den Kopf. »Sie waren ganz reizend zu mir, ganz natürlich. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie mir nur etwas vorspielten. Allerdings habe ich mich zum Idioten gemacht.«
»O nein !«, entfuhr es Julia, so als wollte sie sagen: nicht schon wieder! »Was hast du angestellt?«
»An der Wand hing ein Foto von Colleen mit Jack als Baby im Arm und da …«
»… hast du sie kritisiert!«, fiel Julia ihr aufgeregt ins Wort. »Du hast schlecht von der Toten gesprochen!«
Julia hatte panische Angst vor dem Tod. Wurde sie in irgendeiner Weise damit konfrontiert, reagierte sie stets ängstlich und nervös.
»Hört sich das nach mir an?«, entgegnete Ellen spitz und führte ihren Löffel zum Mund.
»Schalentiere!«, kreischte Madeline und schlug Ellen den Löffel aus der Hand.
»Gar nicht wahr!« Ellen zeigte auf ihren Teller. »Ich hab doch das Hühnchen.«
»Ach so, ja, richtig, entschuldige.« Madeline streichelte beschwichtigend ihren Arm. »Erzähl weiter.«
»Weißt du, meiner Meinung nach wird diese ganze Diskussion darüber, was man in der Schwangerschaft essen darf und was nicht, maßlos übertrieben«, sagte Ellen. »Die Französinnen essen trotzdem Frischkäse und trinken Wein, die Japanerinnen essen trotzdem Sushi – und ihre Babys sind gesund und munter.«
Madeline schürzte skeptisch die Lippen, so als hätte sie Zweifel an der Qualität französischer und japanischer Babys. »Ich würde in den ersten drei Monaten jedenfalls kein Risiko eingehen.«
Julia, deren Miene ein wenig verschlossener geworden war, seit das Gespräch auf Schwangerschaftsfragen gekommen war, meldete sich zu Wort. »Also, was hast du gemacht, als du das Foto gesehen hast?«
»Ich habe losgeheult«, erwiderte Ellen.
»Du hast losgeheult? Du hast die Frau doch überhaupt nicht gekannt!« Madeline legte ihre Gabel aus der Hand, als hätte sie auf etwas Widerliches gebissen. Es war ihr furchtbar peinlich, dass Ellen sich so blamiert hatte.
»Wieso hast du geweint?«, fragte Julia aufrichtig interessiert.
»Schwangerschaftshormone«, antwortete Madeline weise. »Trotzdem kannst du nicht
Weitere Kostenlose Bücher