Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
zurück und schloss die Augen.
Genau in der Mitte von Ellens Stirn pochte es. Und ihr Handgelenk juckte, dass es kaum auszuhalten war.
Schuldgefühle. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil er teilweise im Recht war. Sie hatte sich sehr viel stärker bemüht, sich in Saskia hineinzuversetzen als in Patrick.
Es wäre ein Zeichen von Reife gewesen, nichts zu sagen, sich nicht zu rechtfertigen und vor allem nicht Partei für Saskia zu ergreifen.
Doch stattdessen fragte sie: »Denkst du jetzt an sie?«
»An wen? An Saskia?« Patrick öffnete die Augen.
»Nein, an Colleen.«
»Wovon redest du? Wieso sollte ich jetzt an Colleen denken? Was hat sie damit zu tun?«
Seine Miene spiegelte totale, arglose Verblüffung wider.
So viel also zu ihrem im Auto gefassten edelmütigen Entschluss. Ein Teil von ihr wünschte, sie könnte ihre Worte zurücknehmen, aber der andere Teil, ihr instinktives, primitives Ich, wollte alles hervorzerren, jede Kleinigkeit gut sichtbar ausbreiten.
»Du hast letzte Nacht gesagt, dass du mich manchmal ansiehst und an Colleen denkst und dass es nicht das Gleiche ist und dass du nie wieder jemanden so lieben wirst, wie du Colleen geliebt hast.«
» Ich habe das gesagt?« Patrick schwieg einen Augenblick. »Das habe ich niemals gesagt!«
»Du warst in einem Trancezustand«, räumte Ellen ein.
Er hat nicht gesagt: So etwas hätte ich niemals gesagt.
»Das heißt, es war so, als ob ich im Schlaf geredet hätte«, sagte Patrick langsam.
»So ungefähr. Du warst irgendwo zwischen Wachen und Schlafen.«
»Du fragst mich also irgendwelche Sachen, wenn wir diese Entspannungsübungen machen?« Patrick sah sie an. »Du fragst mich über Colleen aus? Tust du es deshalb? Damit du in meinen Gedanken herumschnüffeln kannst?«
»Nein, natürlich nicht«, widersprach Ellen heftig.
Das Telefon klingelte. Sie überlegte, ob sie es als Vorwand benutzen sollte, um diese Unterhaltung, die in eine völlig falsche Richtung lief, abzubrechen. Sie senkte den Blick und sah, dass sie sich ihr Handgelenk blutig gekratzt hatte.
»Sollen sie eine Nachricht hinterlassen«, sagte Patrick knapp.
Sie saßen da und sahen sich an, während das Telefon in einem fort klingelte.
Das Morphium ließ alle Konturen zerfließen. Die Zimmerdecke weichte auf und begann sich zu drehen; das weiße Deckbett, mit dem ich zugedeckt war, kräuselte sich wie Wasser.
Ich schloss die Augen, um dem schmelzenden Zimmer zu entfliehen, doch stattdessen sah ich Bilder aus meinem Leben, die vor mich hingeworfen wurden wie Spielkarten, eine nach der anderen, in rascher Abfolge.
Patrick, wie er gedankenverloren und ganz traurig vor dem Kino auf mich wartete und seine Miene sich aufhellte, als er mich kommen sah; meine Mutter, als sie noch blond war, wie sie mich von der Schule nach Hause fuhr, den Blick auf die Straße gerichtet, über etwas lachend, das ich gesagt hatte; die Kinder von nebenan, wie sie vertrauensvoll und unbekümmert zu mir aufschauten; mein Kollege Lance, wie er in meinem Büro stand und mir The Wire in die Hand drückte.
Ich machte die Augen wieder auf. Mir fiel ein, dass ich einen Job hatte und im Büro anrufen und den Kollegen mitteilen sollte, dass ich eine Zeit lang ausfallen würde.
Ich griff zum Telefon neben meinem Bett. Nina nahm dasGespräch an, und als ich ihre vertraute, fröhliche Stimme hörte, packte mich kaltes Entsetzen, so als träumte ich und stünde in meinem Traum nackt im Büro. Das Spiel war aus. Jetzt würden sie die Wahrheit erfahren.
Ich hörte mich sagen: »Nina, ich bin’s, Saskia.«
»Oh, hey, Saskia, ich wusste nicht, dass du heute Morgen auswärts bist. Was ich dich fragen wollte …«
»Nina«, sagte ich dazwischen. Mir war, als versuchte ich, unter Wasser zu reden. Ich hielt das Telefon fest umklammert. Ich muss lange geschwiegen haben, weil sie plötzlich fragte: »Bist du noch da?«
»Ich bin völlig am Ende«, erwiderte ich.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, murmelte Patrick. Seine Augen sahen glasig aus. »Mein Kopf ist noch zu voll von letzter Nacht. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gesagt habe. Das über Colleen, meine ich.«
»Ich hätte nicht davon anfangen sollen«, erwiderte Ellen. Sie war furchtbar enttäuscht von sich. Irgendwo im Haus begann ihr Handy zu klingeln.
»Können wir später darüber reden?«, fragte Patrick. »Ich würde gern zur Polizei gehen, solange Jack noch schläft, und Anzeige erstatten.«
»Sicher. Warum vergessen wir nicht
Weitere Kostenlose Bücher