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Alles aus Liebe: Roman (German Edition)

Alles aus Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Alles aus Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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wollen«.
    Ellen und Patrick waren sich einig gewesen, dass Ellens erste Begegnung mit Jack irgendwann tagsüber stattfinden sollte, nicht am Abend. Auf einem Ausflug zum Aquarium vielleicht oder bei irgendetwas anderem, das sie gemeinsam unternehmen und das dieser ersten Begegnung die Anspannung nehmen würde. Ellen hatte vorgehabt, witzige, interessante, scheinbar spontane (in Wirklichkeit aber sorgfältig vorbereitete und ausgefeilte) Bemerkungen zu machen, mit denen sie bei einem Achtjährigen Eindruck schinden könnte.
    Ein kalter Schauer rieselte ihr über den Rücken, als ihr plötzlich noch etwas einfiel: Ihr DVD-Player war kaputt! Das arme mutterlose Kind würde sich zu Tode langweilen!
    Spiele! Sie würden Gesellschaftsspiele spielen müssen. Spieltendie Kinder heutzutage überhaupt noch Brettspiele? Oder sollten sie bloß dasitzen und sich unterhalten? Aber worüber?
    Eine Sekunde lang war Ellen tatsächlich den Tränen nahe.
    Sie musste das Ganze in ein positiveres Licht rücken.
    Ellen, er ist ein Kind, nicht die Königin von England oder der Präsident der Vereinigten Staaten.
    Leider war das keineswegs hilfreich, weil Ellen sich über eine Begegnung mit der Queen oder dem US-Präsidenten weniger Gedanken gemacht hätte. Die Queen erinnerte sie an ihre Großmutter, die ihr jeden Tag aufs Neue fehlte, und Präsident Obama schien ein umgänglicher, lockerer Typ zu sein. Ellen war als Einzelkind unter lauter Erwachsenen aufgewachsen, und in ihrem Beruf lernte sie andauernd neue Leute kennen. Sie war weder schüchtern noch litt sie an Minderwertigkeitskomplexen (obwohl sie zu Selbstverachtung neigte – dagegen anzukämpfen gehörte zu ihrem immerwährenden Selbstvervollkommnungsprojekt).
    Außer gegenüber Kindern. Ja, es war tatsächlich so, dass sie sich Kindern gegenüber unterlegen fühlte.
    Kinder waren eine eigene Spezies mit einer eigenen Sprache und Kultur. Sie schienen heutzutage alle so furchtbar selbstbewusst zu sein. Auf dem Weg zur Metzgerei war ein kleines Mädchen, das Ellen auf höchstens acht geschätzt hätte, an ihr vorbeigerollt, ein pinkfarbenes Handy an die Wange gedrückt und unbeschwert plappernd. Die Kleine trug einen pelzbesetzten Kapuzenmantel, ihr Gesicht war so angemalt, dass sie wie ein Tiger aussah. Die Turnschuhe waren offenbar mit kleinen Rädern versehen, deshalb rollte sie, und nicht nur das: An den Seiten waren blinkende rosa Lämpchen angebracht. Ellen hatte der exotischen Tigerprinzessin auf ihren rollenden Schuhen mit offenem Mund nachgestarrt.
    Einige ihrer Bekannten hatten Babys, aber Babys waren leicht zu handhaben. Man konnte sie knuddeln und zum Lachen bringen, indem man ihre Handfläche kitzelte oder über ihren weichen, süßen Hals prustete. Oh, sie liebte Babys, aber Kinder …
    Viele in ihrem Bekanntenkreis, die wie sie Mitte dreißig waren,hatten keine Kinder. »Ihr Mädchen denkt, ihr hättet ewig Zeit«, sagte ihre Mutter oft. »Du weißt schon, dass du keine weiteren Eizellen außer denen, die du schon hast, bekommen wirst, oder? Nicht, dass ich es eilig hätte, eine runzlige, grauhaarige alte Granny zu werden.« Sie lachte kurz auf.
    Schön, sie hatte also nicht viel Erfahrung im Umgang mit Kindern. Aber das allein konnte doch unmöglich eine solche Panikattacke auslösen. Sie häutete ihr Bewusstsein ganz rigoros, bis die nackte, stachlige Wahrheit darunter zum Vorschein kam.
    Sie wollte die Stiefmutter des Jungen werden. Sie wollte ihn in einem niedlichen kleinen Anzug auf ihrer Hochzeit sehen. Sie wollte, dass er der große Bruder für ihr eigenes Baby wurde, weil sie keine weiteren Eizellen mehr außer denen, die sie schon hatte, bekommen würde. Sie wollte, dass sein Daddy der Richtige für sie war, weil sie es satthatte, ein weiteres Profil in diesem grässlichen Partnerportal anzuklicken und den selbstgefälligen Gesichtsausdruck eines weiteren glatzköpfigen, korpulenten Mannes mittleren Alters zu sehen, der sich »eine schlanke, gepflegte Dame für Kuschelabende und lange Strandspaziergänge« wünschte. Ja, sie wollte, dass dieser Junge sie mochte und sie akzeptierte und sie vor Kuschelabenden mit korpulenten, selbstgefälligen Männern rettete.
    Und natürlich war das alles viel zu früh und viel zu viel und äußerst peinlich, und wenn das Kind ihre Verzweiflung spürte (und sie vermutete stark, dass Kinder wie Hunde waren und Angst förmlich riechen konnten), dann …
    Die Türglocke klingelte.
    Ellen warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

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