Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
wieder eine Zigarette angerührt.«
»So ein Umweltverschmutzer«, bemerkte Ellen.
Rosie guckte sie verdutzt an und grinste. »Ja, das stimmt.« Dann wurde sie abrupt wieder ernst, als wäre sie bei etwas Verbotenem erwischt worden.
Irgendetwas stimmte nicht. Ellen hatte das Gefühl, dass Rosie ihr nicht die ganze Wahrheit sagte. Natürlich logen die Leute immer, bewusst oder unbewusst.
»Wollen Sie wirklich mit dem Rauchen aufhören?«, fragte sie.
Rosie machte große Augen. »Natürlich!«
»Nun, manchmal gibt es unbewusste Blockaden, die uns daran hindern, eine Gewohnheit abzulegen. Ich denke, wir sollten heute einmal etwas anderes machen und uns näher damit befassen.«
»Von mir aus«, seufzte Rosie. »Aber ich sage Ihnen gleich, das Ganze hat überhaupt nichts Geheimnisvolles. Mir fehlt es lediglich an Willenskraft, das ist alles.«
»Warten wir es ab.« Ellen überlegte, wie sie ihre Patientin am besten in Trance versetzen könnte. Schnell hatte sie die perfekte Metapher gefunden. »Welche Farbe hätten Sie denn statt Apricot lieber für die Brautjungfernkleider gehabt?«
»Blau«, antwortete Rosie sofort.
»Schön. Dann konzentrieren Sie sich jetzt bitte auf einen beliebigen Punkt an der Wand. Irgendeinen.«
Rosie seufzte, zuckte mit den Schultern und sah sich im Zimmer um. Ihr Blick blieb in der hinteren rechten Ecke hängen, an dem Punkt, den fast jeder aussuchte.
»Okay.«
»Gleich werden Sie blinzeln.«
Rosie blinzelte.
»Sehr schön«, sagte Ellen sanft. »Und irgendwann werden Ihnen die Augen zufallen. Das kann sofort passieren, vielleicht auch erst ein bisschen später.«
Rosie schloss die Augen.
Ellen beobachtete, wie Rosies Brust sich hob und senkte, und passte ihre eigenen Atemzüge Rosies Rhythmus an. Sie sprach schnell und flüssig und stellte sich vor, wie ihre Worte in Rosies Verstand rannen wie eine Flüssigkeit aus einem Krug.
»Und jetzt stellen Sie sich bitte eine Wand vor, wenn Sie können. Ich muss Ihnen leider sagen, dass sie apricotfarben gestrichen ist. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Sie überstreichen sie in einem wunderschönen Blau. Der Farbroller bewegt sich rauf und runter, ganz gleichmäßig. Rauf … und … runter, rauf … und … runter, immer wieder.«
War das zu kompliziert? Ellen wusste aus Erfahrung, dass sie vorsichtig sein musste mit ihren Metaphern. Männer hatten oft Mühe mit der Abstraktion, sie nahmen alles wörtlich. Ein Mann würde hinterher womöglich sagen: »Sie hätten mich zuerst eine Grundierung auftragen lassen müssen.« Frauen hingegen neigten dazu, sich von einer Nebenfährte ablenken zu lassen. Eine ihrer ersten Patientinnen hatte ihr gesagt, sie liege gern in der Sonne, deshalb hatte Ellen als Trance-Induktion das Bild von einem Sonnenbad an einem tropischen Strand gewählt. Hinterher gestand die Patientin jedoch, dass sie die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen sei, sich den Badeanzug vorzustellen, in dem sie am besten aussah.
Ellen beobachtete, wie Rosies Augen unter den geschlossenen Lidern hin und her huschten und wie angespannt ihre Körperhaltung war: die Schultern hochgezogen, die Hände in das weiche Leder des Sessels gekrallt. Eine Wolke schob sich vor die Sonne.
»Sie sehen den Farbroller über die Wand gleiten, und dieses Auf und Ab hat etwas Beruhigendes. Sie entspannen sich mehr und mehr. Bald merken Sie, wie Sie im gleichen Rhythmus atmen, in dem der Farbroller sich bewegt. Auf … und ab …, ein … und aus. Auf … und ab …, ein … und aus.«
Die Spitzen von Rosies winzigen schwarzen Stiefeln, Koboldstiefelchen, kippten nach außen. »Achte auf ihre Füße«, hatte Flynn, ihr Mentor, ihr immer eingeschärft. »Die geben dir den entscheidenden Hinweis.«
»Die Wand ist jetzt fast fertig. Sobald sie vollständig blau ist oder vielleicht ein kleines bisschen später, werden Sie so wunderbar entspannt sein, wie Sie es nie zuvor waren.«
Rosies Kinnlade fiel herunter, ihr Mund stand offen, ihre Gesichtsmuskeln lockerten sich, und ihr Kopf sank auf die Seite. Wenn manche ihrer Patienten wüssten, wie sie in Trance aussahen, wären sie entsetzt. Ellen hatte das noch nie irgendjemand anderem gegenüber erwähnt, nicht einmal gegenüber anderen Therapeuten. Das blieb ein Geheimnis zwischen ihr und ihren Patienten.
Schön, Ellen, und was genau hast du jetzt vor mit dieser blauen Wand?
Sie musste nicht überlegen, sie wusste es. Es gab Tage, da kamen ihr ihre Sitzungen gezwungen und unbeholfen vor. Dann
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