Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
spielen und ihr das geliehene Buch zurückgeben und amüsiert beobachten können, wie sie sich Mühe gab, nicht völlig auszuflippen. Ich hätte improvisiert. Ich hätte mit allem umgehen, hätte alles tun, alles sagen können. Das dachte ich jedenfalls, aber als ich ihre Stimme am Telefon hörte, blieb mir meine eigene weg.
Meine Stimmbänder waren wie gelähmt. Es war für mich physisch unmöglich zu sagen: »Oh, hi, Ellen, hier ist Saskia, ich muss meinen Termin heute Morgen absagen, weil ich eine Autopanne habe.«
Ich kann mich jetzt, wo sie mich als Verrückte kennt, nicht mehr wie ein normaler Mensch benehmen, weil das bedeutenwürde, dass ich mich für verrückt oder für normal entscheiden kann. Und wenn ich die Wahl habe, dann würde das wiederum bedeuten, dass ich nicht wirklich verrückt bin; ich sollte endlich aufhören, die Irre zu spielen, und mein Leben weiterleben.
Aber was für ein Leben? Patrick und Ellen sind mein Leben. Ohne die beiden gibt es nur einen Job und eine Wohnung und ein Auto, das ein neues Automatikgetriebe braucht.
Der Installateur war schon fort, als es am Nachmittag an der Tür klingelte. Ellen studierte gerade die schicke Schaltfläche der neuen Warmwasseraufbereitungsanlage.
Patrick hatte sich für ein System mit Timerfunktion entschieden, bei dem die Temperatur des fließenden Wassers nach Wunsch eingestellt werden konnte. Das sei praktisch für die Badezeit des Babys, hatte er gemeint. Ellen hatte gar nicht gewusst, dass es solche Systeme überhaupt gab. (Und dann dieses »Badezeit«! Sie staunte über die Beiläufigkeit, mit der er von etwas so Gewöhnlichem und doch ganz und gar Außergewöhnlichem sprach.) Er hatte eine lange Liste mit Dingen zusammengestellt, die erledigt werden mussten, damit das Haus babygerecht wurde: Die Steckdosen mussten mit Kinderschutzsicherungen versehen werden, die Wendeltreppe war eine »tödliche Falle für Kleinkinder« und so weiter und so fort. »Ich schätze, wir werden Kostenvoranschläge einholen müssen.« Ellens Stresspegel war beim Anblick der Liste in die Höhe geschossen.
»Ich kümmere mich darum«, hatte Patrick gesagt, die Brust gewölbt und das Kinn wie ein Superheld gereckt. »Ich möchte nicht, dass du dir dein hübsches kleines Köpfchen deswegen zerbrichst.« Ellen hatte grazil den Handrücken an ihre Stirn gelegt und getan, als falle sie in seinen Armen in Ohnmacht. (Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre tatsächlich ohnmächtig geworden.)
Ellen sah auf die Uhr. Sie erwartete keine Patienten mehr. Saskia, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die Treppe hinunterging. Und jetzt ist kein kräftiger Installateur mehr da, der mich beschützen k önnte. Vorsichtshalber griff sie nach einem der schweren gläsernen Kerzenhalter auf dem Flurtisch, die ihrer Großmutter gehört hatten. Sie musste lachen, als sie ihr Spiegelbild im Flurspiegel sah. Das war ja wirklich albern. Aber den Kerzenhalter legte sie trotzdem nicht aus der Hand.
Sie öffnete die Haustür. Draußen stand nicht Saskia, sondern eine kleine, nervös aussehende, schlanke junge Frau, die eine Zigarette rauchte und entschuldigend zu Ellen hinauflächelte. Das Gesicht kam ihr bekannt vor, aber sie wusste im Moment nicht, wo sie die junge Frau unterbringen sollte, so sehr war sie auf Saskia fixiert gewesen.
Die junge Frau ließ ihre Zigarette fallen und trat sie aus. Dann bückte sie sich nach der Kippe und hielt sie in ihrer hohlen Hand.
»Ich kann nicht glauben, dass ich mir eine angezündet habe, während ich hier vor der Tür auf Sie gewartet habe«, sagte sie. »Ich bin eine Idiotin. Tja, wie Sie sehen, bin ich immer noch nicht davon losgekommen.«
Ellen starrte auf die Zigarettenkippe. »Rosie!«
»Ja«, sagte sie. »Entschuldigen Sie, ich weiß, dass ich keinen Termin habe. Ich bin heute Morgen aus den Flitterwochen zurückgekehrt, und da dachte ich mir, ich schaue mal vorbei, vielleicht haben Sie zufällig ein paar Minuten Zeit für mich.«
»Ich habe Ihre Hochzeitsfotos in der Zeitung gesehen«, bemerkte Ellen. Sie gab sich Mühe, nicht verärgert zu klingen. Obwohl uns ein solcher Durchbruch gelungen ist, hast du ihn geheiratet! Warum? Warum hast du ihn geheiratet, wenn du weißt, du magst ihn im Grunde nicht einmal?
»Die Fotos waren einfach grässlich«, sagte Rosie. »Ich habe so schrecklich ausgesehen. Und dann die fürchterliche Farbe der Brautjungfernkleider!«
»Es waren Schwarz-Weiß-Fotos.«
»Ach so, ja, natürlich. Jedenfalls war
Weitere Kostenlose Bücher