Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
Parkinson, ich leide am Verlust meiner Freiheit.
Wieder zu Hause gab ich dem Drängen meiner Frau nach und vereinbarte einen Termin bei meinem Arzt. Der riet mir, mich möglichst schnell bei einem Neurologen vorzustellen.
Kurz danach suchte ich mit meiner Frau eine neurologische Praxis auf, deren Adresse ich einfach dem Telefonbuch entnommen hatte. Kriterium: der schnellst mögliche Termin – ein folgenschwerer Fehler, wie sich herausstellen sollte. Im Behandlungszimmer ließ man mich auf und ab laufen, beobachtete mich dabei schweigend und haute mir dann ungerührt und ohne jedes Einfühlungsvermögen die Diagnose – »vermutlich Parkinson« – um die Ohren. Meine Frau, die ich in dieser kritischen Situation so dringend gebraucht hätte, war vorher einfach raus ins Wartezimmer geschickt worden. Wir verließen die Praxis bedrückt und ich weinte zum ersten Mal in meinem Leben über meinen Gesundheitszustand. Nie wieder würde ich diese Räume betreten. Wenigstens verdankte ich dieser Begegnung einen schnellen Termin für ein MRT . Da ich ohne Kontrastmittel in den Tomographen geschickt wurde, gab es auch keine Auffälligkeiten. Befund negativ. Immerhin, ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Aber wohin ich auch floh, welche Möglichkeiten ich auch immer in meinem geplagten Hirn konstruierte, ich flüchtete vor der unausweichlichen Tatsache eines chronischen neurologischen Befundes. Ich wusste es die ganze Zeit, aber meine Gefühle kamen nicht hinterher. Noch hatte ich die Diagnose nicht schwarz auf weiß. Hoffnung ist ein Generator des Lebens, aber nur, wenn die Hoffnung begründet ist. Ich musste mich auf diesem unbekannten Terrain wohl doch ein wenig kundig machen. So erfuhr ich, dass dieser Genosse Tremor noch weitere unangenehme Kumpel hat: Rigor, die Muskelstarre – klingt verdächtig nach Rollstuhl –, und Akinese, Ursache für das maskenhafte Gesicht. Klingt alles nicht lecker!
Rotten sich die drei Parki-Schinder irgendwann zusammen? Rennen eines Tages meine Enkelkinder weg, weil ich so böse schaue? Meine Frau hat mich schon öfter ermahnt, den Mund zuzumachen. Hängen die Mundwinkel schon runter? Kriege ich eines Tages den Löffel nur noch verkehrt herum in den Mund?
Düstere Perspektiven peinigten meine Phantasie. Sollte Gott diese Krankheit zugelassen haben, dann hat er sich geirrt. So ein Zitterleiden passt einfach nicht zu mir. »Das muss sich um eine Verwechslung handeln«, hat Samuel Koch gesagt. Gut, zu einem Uhrmacher oder zu einem Chirurg passt dieses Leiden auch nicht. Letztlich ist jede Krankheit unpassend. Ich wüsste jedenfalls nicht, welches alternative Leiden ich mir hätte wünschen sollen. Haarausfall oder Appetitlosigkeit, Gemüseunverträglichkeit oder Sportallergie, Schlafstörungen in der Mittagszeit, damit könnte ich mich arrangieren.
Schluss mit dieser Wehleidigkeit! Eines steht fest: Gott sitzt nicht im Himmel und verteilt Krankheiten.
6.
Vom Ende der Täuschung
Für Ostern hatte ich eine große Veranstaltung vorzubereiten und dann auch zu moderieren. Das war meine Welt: Musik und Theater, viele Menschen auf die Bühne bringen, Talente entdecken und zu einem starken Programm formen. Schon bei den Proben peinigte mich der Tremor. Als ich den Schlusschoral mit allen Akteuren dirigieren wollte, konnte ich mich nur noch mit letzter Kraft auf den Beinen halten. Ich kam mir so bloßgestellt vor, so erbärmlich verletzt und hinfällig.
Meine Kollegen von der alten Studentenband waren auch dabei. Wir spielten unter dem Beifall des begeisterten Publikums unsere Oldies aus den Siebzigerjahren. Die Band war in Topform, nur ich konnte vor Zittern kaum das Mikrofon halten. Die Ehefrauen meiner Band-Kollegen, die mich lange nicht mehr gesehen hatten, fragten besorgt, was denn mit mir los sei. Ich faselte was von allgemeiner Erschöpfung.
Nach dem großen Finale verschwand ich mit meiner Frau hinter der Bühne und bat meine engsten Kollegen um ein paar stille Augenblicke. Ich war sprichwörtlich ein Häufchen Elend. Die Kollegen machten das einzig Richtige: Sie stellten sich um uns herum, legten die Arme um meine Frau und mich, zitierten einige Bibelverse aus dem 5. Kapitel des Jakobusbriefes und beteten für mich.
Dazu muss man übrigens kein Esoteriker sein, das ist ein urchristlicher Dienst der Stärkung eines angefochtenen Menschen. Ich kenne viele Kirchen und Gemeinden, die so einen Gebetsdienst wiederentdecken, nachdem sie diese Qualität im rationalistischen Eifer abgeschafft hatten.
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