Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
raus. Jetzt stand es fest. Ich wankte an der Hand meiner Frau ins Behandlungszimmer des Neurologen und brach in Tränen aus. Dann betrat der warmherzige Arzt den Raum und blickte mich aufmunternd an: »Warum weinen Sie? Sie wissen wenig über die Krankheit, es gibt keinen Grund zur Panik. Wir werden Sie in diese neue Lebensphase begleiten.«
Irgendwann sagte er beiläufig: »Wieder ein Pastor!« Was sollte das denn heißen? Nur weil Billy Graham, der berühmte Pastor und Evangelist, und der letzte Papst zittern bzw. zitterten, kann man doch daraus keine Schlüsse auf eine potenziell anfällige Berufsgruppe ziehen. Schließlich hatten scheußliche Despoten wie Hitler oder Mao Tse-tung auch Parkinson. Die Antwort war bezeichnend: Viele Parkinsonkranke sind Männer und Frauen in öffentlichen Berufen. Leute, die immer mit vollem Einsatz auf der Bühne stehen: Politiker, Künstler, Musiker, Schauspieler, Lehrende und Pastoren. Mir fielen sofort der Stuttgarter Ex-Oberbürgermeister Manfred Rommel, der Bayreuther Startenor Peter Hofmann, der Boxer Muhammad Ali, der Schauspieler Michael J. Fox und der Kabarettist Ottfried Fischer ein, der beschlossen hat, künftig auf Schüttelreime zu verzichten. Den Humor wollte ich auch haben.
Am nächsten Tag sollte eine Predigt im TV -Studio aufgezeichnet werden. Ich war nahe daran, abzusagen. Mein Arzt sagte mit prophetischer Autorität: »Sagen Sie nichts ab. Sie müssen jetzt leben, was Sie jahrzehntelang gepredigt haben!« Bei jeder langfristigen Terminzusage steht mir dieser Satz vor Augen. Er ist mein Leitmotiv geworden. Jetzt das leben, was ich immer gepredigt habe.
So fuhr ich am nächsten Tag ins Studio. Vor Zittern konnte ich kaum das Lenkrad halten. Wie gut, dass meine Frau dabei war. Die Visagistin in der Maske spürte, wie ich unter dem Umhang bebte. Ich bat sie, den TV -Chef zu holen. Der kam auch gleich und hörte sprachlos meinem Bericht zu. Was wollte er auch sagen? Ich bat die Kameraassistenten, eine Fußmatte unter das Stehpult zu legen, damit man das Klappern der Schuhsohlen nicht hörte. Zu meiner großen Verwunderung ging es gut. Mein Neurologe hatte recht behalten.
Eine nuklearmedizinische Diagnose sollte letzte Klarheit geben. Ich ahnte nicht, dass es eine furchtbare Erfahrung werden würde. Mir wurde ein »strahlendes« Kontrastmittel gespritzt und dann musste ich in die »Röhre«, um den Grad der Schädigung meiner Gehirnzellen festzustellen. So wollte man letzte Klarheit über meinen neurologischen Befund gewinnen. Einen Tremor-Patienten in einem Magnetresonanztomographen ruhigstellen? Das geht eigentlich gar nicht. Oder man muss den »Geröhrten« vorher so abschießen, also sedieren, dass er die Prozedur halb ohnmächtig übersteht.
Zwei einigermaßen unsensible Assistentinnen hatten keine Lust, sich geduldig um mich zitterndes Häufchen Elend zu kümmern. Warum auch, die hatten schließlich ein völlig überfülltes Wartezimmer abzuarbeiten. Mein Kopf wurde auf den Schlitten geschnallt, aber meine Beine zitterten wie verrückt und übertrugen den Tremor bis in den Kopf, der ja für dieses Diagnoseverfahren extrem ruhiggestellt sein musste. Es war eine einzige Qual. Die Assistenten hatten nicht die geringste Idee, wie sie mich beruhigen könnten. Ich drückte den Notruf, befreite mich von den Fesseln und kroch völlig verschüchtert aus der Röhre. Erschöpft verließ ich die Praxis. Da würde mich keiner mehr hinschicken. Ich wusste ohnehin Bescheid.
Meine Frau, selbst an einer Universitätsklinik tätig, machte mir einen Termin in der Nuklearmedizin ihrer Klinik. Das Personal ging locker mit mir um und das Gerät war keine Panikröhre, sondern bestand aus drei meinen Kopf umkreisenden Platten. Die Prozedur war schnell vorbei und das bildgebende Diagnoseverfahren in der Aussage eindeutig. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Die bereits geschädigten Gehirnzellen waren klar erkennbar. Wie ein militärisches Sperrgebiet auf einer Landkarte. Irreparabel geschädigt. Eine brutale Einsicht. Ich will gar nicht wissen, wie viel Prozent meiner Gehirnzellen schon geschädigt sind. Vielmehr beschäftigt mich die Frage, ob der intakte Rest reicht, um mich denk- und handlungsfähig zu halten, und ob man den Prozess aufhalten kann.
In diese quälenden Gedanken hinein erscheint mir immer wieder das Bild vom letzten Papst. Der Mann war vom Leiden gezeichnet, aber geistig hellwach. Morbus Parkinson vermochte nicht, sein Pontifikat zu verhindern. Er blieb seiner
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