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Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)

Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)

Titel: Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Mette
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ultimative Diagnose. Dann lud meine Assistentin alle Angestellten zu einer Spontansitzung in den Konferenzraum ein. Ich wollte sie selbst aus erster Hand informieren. Doch da saß ich nun – in mich verkrümmt und die zitternden Beine unter dem Tisch verschlungen – vor diesem wunderbaren Team und fühlte mich völlig unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Die Tränen erstickten meine Stimme und ich wurde kräftig von einer Tremorattacke geschüttelt. Mein Vorstandskollege und einer meiner leitenden Mitarbeiter übernahmen das Wort und halfen mir so aus der Verlegenheit. Betroffene Gesichter, aber kein Schrecken, denn viele hatten ja schon längst eine gewisse Vorahnung. Ich packte zitternd meine Aktentasche, ließ den Schreibtisch unaufgeräumt und meine Frau holte mich nach Hause.
    Wer sollte es nun wann erfahren? Mein engster Familienkreis und die Kollegen wussten jetzt über meine Situation Bescheid. In den kommenden Tagen schrieb ich die Namen derjenigen auf, die schon informiert worden waren. Einige meiner Aufsichtsratsmitglieder besuchten mich zu Hause und rieten mir dringend zu einem transparenten Informationsstil. Als Mensch, der häufig in der Öffentlichkeit stünde, könnte ich das Leiden sowieso nicht verbergen. Und bevor die Spekulationen mancher Hobbytherapeuten ins Kraut schießen würden, sollte ich doch gleich von Anfang an offen informieren. Das war ein guter Rat, an den ich mich bis heute gehalten habe. Parkinson ist keine Krankheit, für die man sich schämen muss. Doch ihre Symptome sind auffälliger als die vieler anderer Erkrankungen. Der »Parki« fällt in jeder Fußgängerzone und bei jedem öffentlichen Empfang auf. Er schämt sich seiner Hinfälligkeit und geht grundsätzlich davon aus, dass er beobachtet wird: beim mühsamen Ausstieg aus dem Auto, beim Durchrücken auf der engen Wirtshausbank, beim Empfang mit Sektglas in der linken und Häppchen in der rechten Hand, beim Stau an der Tür.
    Im Restaurant bitte ich erstmals, ob man mir die Pizza gleich schneiden könne. Und schon läuft der Film rückwärts in die zahnlose Kindheit, in der mir meine Mutter das Marmeladenbrot in kleine Stückchen geschnitten hat: »Eins für den Opa, eins für die Oma!«
    Irgendwann wird der Mensch wieder zum Kind. Der eine früher, der andere später.
    Wie fühle ich mich? Nicht richtig krank, nicht richtig gesund, aber irgendwie verlegen und geplagt von einer drückenden Unsicherheit über den künftigen Krankheitsverlauf. Verlegenheit, das ist die treffende Zustandsbeschreibung. Einer, der selten verlegen war, der immer im Mittelpunkt stand und jede Clique vortrefflich zu unterhalten wusste, ist auf einmal so verlegen und verunsichert, dass er die Rückkehr in die Privatsphäre herbeisehnt. Einfach abtauchen und möglichst nicht wieder auftauchen müssen.
    Darum oute ich mich, bevor die Gesunden verlegen werden.
    Die Besuche bei meinem Neurologen waren jedes Mal ein Befreiungsschlag gegen die Resignation und ein gezielter Schritt in ein normales Leben. Bloß nicht Herrn P. zu viel Macht einräumen. So bat mich der nette, römisch-katholische und theologisch sehr belesene Facharzt von Termin zu Termin darum, mich mit ausgewählter Literatur zu beschäftigen. Etwa so: »Herr Mette, bei Ihrem nächsten Besuch würde ich gern mit Ihnen über das neue Buch zur Pentateuchkritik (5 Bücher Mose) sprechen!« Nun bin ich kein Alttestamentler, also musste ich mich kundig machen, um mitreden zu können. Als ich mich dann das nächste Mal in der Praxis vorstellte, sprachen wir tatsächlich relativ wenig über Parkinson, aber viel über Theologie und Glauben. Da erfuhr der Arzt wohl mehr über mein Ergehen, als mir bewusst war. Bei ihm habe ich gelernt, die Krankheit aus der Mitte meines Lebens an die Peripherie zu verlegen, da, wo sie hingehört. »Hauptsache gesund!«, stimmt nicht. Ich lerne eine ganz andere Einsicht: Hauptsache mit Gott im Reinen, mit mir und meiner Familie. Heil sein ist wichtiger als geheilt zu sein!

8.
Wenn die Seele nicht mehr lacht
    Der Absturz in die Depression war auch ein Abschied vom Elfenbeinturm einer seriösen und sicher geglaubten Theologie. Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen und habe mich früh für ein Leben nach dem Vorbild von Jesus Christus entschieden. Meine Eltern waren uns dabei ein beeindruckendes Vorbild für eine fröhliche christliche Lebenspraxis. Unser Christsein sollte ansteckend sein, authentisch, unverkrampft. Wir hatten ein offenes und

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