Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
wäre ein Zeichen von Liebe. Zu mir!
Zum Beispiel müsste ich seine Antwort auf mein Angebot, beim Kochen sein Hilfskoch zu sein – damals, noch bevor er seine Bandscheibenbeschwerden hatte –, ebenfalls neu bewerten. »Nein, du störst mich nur!« bedeutet also nicht, dass er findet, ich sei ein miserabler Koch. Es heißt schlicht und einfach: »Ich liebe dich!« Sonst würde er auch meine für ihn derzeit zubereitete Schonkost ablehnen. Aber er isst sie. Aus Liebe! Danke, Mama!
Natürlich liebt mich mein Traummann, und deshalb beschließe ich, ihm ab sofort ohne Wenn und Aber zur Seite zu stehen. Bis er gesund ist und mich heiratet. Hoffentlich schaffe ich das auch: Arbeit, Haushalt und die Krankheitsfälle Carsten und Alexandra. Leicht würde es nicht werden. Zu meiner eigenen Ermutigung denke ich daran, wie ich im Frühjahr die Tage vor meiner Premiere, als mich Aufregung, Selbstzweifel und Versagensängste rund um die Uhr auf Trab hielten, durchgestanden hatte. Besonders der letzte Tag war eine Bewährungsprobe für meine Nerven gewesen.
***
Am Tag der Premiere war es in der Garderobe des Theaterschiffs ganz still. Noch hatte kein einziger Gast den angrenzenden Saal betreten. Im schummrigen Licht zweier Spiegelleuchten saß ich auf einem Sessel in der hintersten Ecke des mit Kostümen, Requisiten und technischem Zubehör vollgestopften Raums und versuchte mich zu beruhigen. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich schwebend von oben auf mich drauf blickte.
Ich sah eine akribisch geschminkte Frau, im kurzen roten Kleid, deren – durch extremes Ausstopfen des BHs – hochgeschnallte Brüste gegen ihren schlanken Körper ungewohnt groß wirkten. Mein Körper vibrierte, das Herz klopfte wie wild in meinem Brustkorb. Ruhig atmen, Tati! Ein. Aus. Ein. Aus.
Das letzte Mal, dass ich so extrem aufgeregt war, war wohl kurz vor der Entbindung meiner Tochter gewesen, dachte ich.
Während ich die Geburt in Gedanken Revue passieren ließ, trällerte ich automatisch meine Stimmübungen: »Malaga, malaga, malaga!«
Ich erinnerte mich daran, wie ich schon am Morgen des Geburtstages meiner Tochter gespürt hatte, dass es an jenem Tag passieren würde. Ich war hinüber zu meiner Freundin und Nachbarin Gisi gelaufen und hatte hilflos, ängstlich und unsicher in ihrem Wohnzimmer gesessen. Da half es auch nicht, dass Gisi, damals schon seit knapp zwei Jahren selbst Mutter, beruhigend auf mich einredete, mir einen starken Kaffee kochte und mich dann mit ihrem alten Trabi über das Babelsberger Kopfsteinpflaster mit einhundert Sachen ins Oberlinhaus brachte.
»Kh, th, ph, kh, th, ph!« Ich fühlte, dass, wie damals, auch an diesem Tag nichts und niemand etwas gegen meine Aufregung tun konnte. Mit aufeinandergepressten Lippen prustete ich wie ein Pferd: »Brbrbrbrbr!« In zwei Stunden, so beruhigte ich mich, würde alles vorbei sein.
Nach der Premiere würde ich mich, anders als nach der Entbindung, besser fühlen. Ich entsann mich, dass Doro mir vor der Geburt immer von Müttern berichtet hatte, die ihre Entbindung als das Schönste und Beglückendste auf der Welt empfanden. Ich fand weder den Arzt, der, halb Mann, halb Bulldozer, auf meinem Bauch kniend, die Geburt zu beschleunigen suchte, schön noch die Schmerzen in irgendeiner Form beglückend.
Ich betrachtete mein ziemlich dick mit Schminke ausgespachteltes Gesicht im Spiegel der Schiffsgarderobe. Danach löschte ich das Spiegellicht, hopste durch die Garderobe und schlenkerte mit den Armen, beugte den Oberkörper vor und versuchte, meinen Kopf auf die Knie zu pressen, während ich sang: »La-la-la-la-la-la-la!«
Mein Herz raste immer noch wie ein ICE. »Mi-mi-mi-mi-mi-mi-mi!«, machte ich und hob das rechte Bein. Gleich beim ersten Lied war ein »Grand Battement« choreografiert worden. Und hoch das Bein. Fffff, aua! Ich streunte weiter wie ein Tiger durch die Garderobe und sang: »Mach mir den Tiescher, du Adonis. Oh, du Bild von einem Mann!«
Das Theaterschiff schlingerte durch die in den Saal strömenden Zuschauer, wie auch meine Stimmung zwischen Zuversicht und der Angst zu versagen hin- und herschwankte. Ich blickte auf den Schminktisch vor mir, auf dem verschiedene in Geschenkpapier gewickelte Päckchen lagen, Premier-engeschenke für mich. Theaterleute sind abergläubisch. Genauso, wie man hinter der Bühne nicht pfeifen und auf ein »Toi, toi, toi« nicht »Danke« sagen darf, ist es auch verboten, Premierengeschenke vor der Vorstellung zu
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