Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
Arbeitsalltag, ihre Internet- und Computeraktivitäten. Ihre Fressattacken und den Wunsch nach häufigerem Sex ordnete ich ihrer mir schon seit Jahren bekannten Lebenslust zu. Jetzt erst realisiere ich, dass ihre ununterbrochenen Meckereien und ihre permanente Schwarzmalerei genauso wie ihr Helfersyndrom Hinweise auf eine sich anbahnende Katastrophe waren.
Laut meiner Rechercheergebnisse ist das, was ihr der Psychologe vorschlug, die richtige Therapie. Sie soll zur Kur, und sie bekommt Tabletten. Was mich aber ganz besonders beruhigt, ist der Hinweis mehrerer Wissenschaftler, dass Angehörige und Freunde nichts gegen eine Depression machen können. Vor Erleichterung knutsche ich meinen neben mir schlafenden Stubentiger. Es ist ein schönes Gefühl, dass Alexandra von einem Psychologen Hilfe bekommt und ich nicht für die Krankheit meiner Schwester verantwortlich bin.
Siehste, Mama, ich muss mich gar nicht um alles kümmern!
Nach diesem Erfolg will ich wissen, was es außer einer Operation noch für Behandlungsmöglichkeiten bei einem Bandscheibenvorfall gibt. Ein Patient schreibt in einem Forum: »Ich muss sagen, jede Akupunktur-Behandlung war für mich eine große Erleichterung. Die Schmerzen ließen dank der vielen Nadeln auf meinem Rücken wirklich nach.«
Akupunktur? War das nicht so etwas Esoterisches wie Reiki? Soll ich Pia anrufen und fragen? Lieber nicht. Ich habe jetzt keine Lust, mit Pia über »Blei zu Gold machen« zu reden.
Stattdessen suche ich im Internet nach einem Heilpraktiker in Potsdam und werde fündig. Ganz in der Nähe in der Gutenbergstraße residiert DoktorSchröpf. Versuch macht kluch, hätte meine Oma gesagt. Darum ignoriere ich meine Vorbehalte gegen jegliche Form der Heilpraktikerei und rufe in Doktor Schröpfs Praxis an.
»Ja, Frau Meissner, Sie können gleich kommen. Eine Akupunktur-Sitzung dauert ungefähr eine halbe Stunde. Schon nach der ersten Behandlung werden Sie sich besser fühlen. Bitte bringen Sie 50 Euro mit!«, sagt mir eine routiniert klingende Dame. Erstaunlich, wie die Sprechstundenhilfe eine gute und eine schlechte Nachricht geschickt verpackt und seriös vorträgt.
Auch wenn Herr Schröpf mich zu schröpfen wünschte, ich werde Carsten auf jeden Fall dorthin schleppen, und ganz tief in meinem Unterbewusstsein hofft eine optimistische Tati wieder auf die schnelle Genesung ihres potenziellen Heiratskandidaten, auf einen Wochenend-Liebesausflug nach Hamburg und auf die Möglichkeit, ihre Spareinlagen nicht für den Kauf eines Treppenliftes verschwenden zu müssen. Ich fühle mich beruhigt, eine Möglichkeit gefunden zu haben, auch wenn sie mir noch so abwegig erscheint, und kann es gar nicht erwarten, Carsten von meinen Erkenntnissen zu berichten. Natürlich wohldosiert.
Ich werde ihm nicht sagen, dass ich an anderer Stelle Folgendes gefunden habe: »Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass die Effekte der Akupunktur wahrscheinlich auf dem Placebo-Effekt beruhen.« Ich glaube, mal gehört zu haben, dass man an die schmerzlindernde Wirkung von Akupunktur ganz fest glauben muss. Wie bei meiner Raucherentwöhnung vor zehn Jahren, als die Nadel hinterm Ohr überhaupt nicht half. Mein Glaube daran war sicher zu schwach. Schon deswegen werde ich meinem narkotisiert wirkenden Erdmännchen diese Geschichte vorenthalten, damit der Placebo-Effekt uneingeschränkt wirken kann.
Beschwingt laufe ich nach oben. Mein Bandscheibenvorfall liegt auf dem Wohnzimmerfußboden und starrt abwesend vor sich hin, als ich ihm die freudige Nachricht von dem für heute vereinbarten Termin beim Heilpraktiker überbringe. Wahrscheinlich sind es seine Schmerzen, die jede Freude, aber auch jeglichen Widerspruch verhindern und ihn mir bedingungslos folgen lassen. Ich muss meinem Kranken in die Jacke helfen und seine Schuhe zubinden, weil er seinen linken Arm fast gar nicht bewegen und nur auf dem Kopf tragen kann.
Pünktlich betreten wir die Praxis des Heilpraktikers und werden sofort in ein kleines Behandlungszimmer geführt. Doktor Schröpf, ein kleiner unscheinbarer Mann mit Brille, folgt uns. Als wir ihm die Röntgenbilder zeigen und die Situation schildern, hört er aufmerksam zu, fragt nach und scheint sehr interessiert. Mein Optimismus hält sich dennoch in Grenzen. Natürlich muss der Arzt nett und kompetent wirken, wir sollen die Sitzung ja auch teuer bezahlen. Allerdings scheinen Doktor Schröpfs Worte Eindruck auf Carsten zu machen. Zum ersten Mal seit der Diagnose des
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