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Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)

Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)

Titel: Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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doppelten Vorfalls und der Androhung der Operation vor sieben Tagen blitzt in den Augen meines zukünftigen Mannes Zuversicht.
    Nach ausführlichen Erklärungen zu Behandlungskonzepten der traditionellen chinesischen Medizin, von Yin und Yang, zur Fünf-Elemente-Lehre und der Lehre von den Meridianen empfiehlt der Doktor, die zu behandelnden Stellen nicht nur zu nadeln, sondern auch zu schröpfen.
    »Da das Schröpfen zu den ausleitenden Verfahren zählt, werden die ausgetretenen Bandscheiben geschrumpft!«, erklärt der Doktor. Carsten, der nicht auf dem Bauch liegen kann, wird nun mit freiem Oberkörper auf einen Hocker gesetzt. Schief und krumm, wie ein Häufchen Elend, sitzt meine Bandscheibe vor mir. Der Arzt bereitet die sogenannten Schröpfgläser zur Behandlung vor. Das sind rote, an dickeren, kurzen Glasrohren befestigte Gummibälle. Sie erinnern mich an Omas Klistierspritze, mit der sie mir als Kind, als Androhung Stuhlgang aktivierender Maßnahmen, die Nutzung des Töpfchens nähergebracht hatte. Hoffentlich ist das Vorhaben unseres Heilpraktikers sinnvoller als die Erziehungsmaßnahmen meiner Oma! Ehe er das Glas mit Unterdruck auf Carstens Rücken platziert, hackt er mit einem Hämmerchen auf die entsprechende Stelle. Die Haut wird dadurch mit kleinen Nadeln angeritzt.
    »Durch die Verletzungen zieht der Unterdruck der Schröpfgläser das Blut verstärkt heraus. Es handelt sich hierbei um eine Art des Aderlasses. So wird eine Ab- bzw. Ausleitung von Schadstoffen über die Haut erreicht«, erklärt uns der Heilpraktiker und erhitzt die Luft in den sechs Schröpfköpfen durch einen in Äther getauchten Wattebausch, der angezündet wird. Dann setzt er jeweils drei davon links und rechts von Carstens Halswirbelsäule auf die Haut, die sofort durch den Unterdruck eine kleine Beule bildet. Zum Abschluss sticht er noch einige Akupunktur-Nadeln zwar zielgerichtet, aber in meinen Augen völlig durcheinander in den Rücken seines Patienten. Carsten sitzt nach vorn gekrümmt auf seinem Hocker und sieht mit den symmetrisch ausgerichteten Gummibällen aus wie eine Echse. Seine Reptilienrücken-Gebilde füllen sich langsam mit Blut und einer wasserähnlichen Flüssigkeit. Als wir allein im Zimmer sind möchte ich von ihm wissen, wie sich das anfühlt.
    »Es tut nicht weh, falls du das meinst. Aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es hilft!«, sagt Carsten erstaunlich gelassen. Ich bete zu allen mir unbekannten chinesischen Göttern und hoffe entsprechend des Yin-und-Yang-Prinzips, dass nach Schatten auch wieder Sonne kommt.
    Mit einem »Plopp« fällt so ein Schröpfkolben auf die Erde und zerbricht in tausend Scherben.
    »Vielleicht ist das ein Zeichen vom Chinagott oder von meiner Oma, die immer sagte, dass Scherben Glück bringen«, sage ich, während ich den unversehrten Gummiball von der Erde aufhebe. Carsten grinst, wenn auch gequält.
    Zwanzig Minuten später schwebt der Doktor milde lächelnd in den Raum, schaut sachkundig und zufrieden auf die verbliebenen Schröpf-Dinger und entfernt sie vorsichtig.
    Carsten erhebt sich von seinem Höckerchen, zieht sich einhändig, aber ganz allein sein Sweatshirt an und steht dann vollständig aufgerichtet vor mir. Der linke Arm hängt erstaunlich normal nach unten.
    »Wie geht das denn?«, frage ich meinen eben noch gebeugten Kranken verblüfft. »Hast du keine Schmerzen?« Carsten bewegt vorsichtig seine Schultern und den Kopf.
    »Doch, aber viel weniger!«
    Wir vereinbaren gleich vier weitere Termine bei Herrn Schröpf und fahren nach Hause. Am Abend hilft mir Carsten sogar bei der Zubereitung des Abendessens und guckt schon wieder ein bisschen wie ein lustiges Erdmännchen.
    Vor dem Schlafengehen geht mir durch den Kopf, wie unglaublich dieser Tag war! Ich bin aus meiner Lethargie erwacht, habe es geschafft, meine Probleme erstmalig aus nützlicher Distanz zu betrachten, und mit der Hilfe von Doktor Schröpf habe ich erreicht, dass Carsten, würde er sich für die Rolle des »Glöckners von Notre Dame« bewerben, nicht mehr besetzt werden würde.
    ***
    Euphorisiert durch Carstens so unverhofft gesteigerten Bewegungsradius, also seine Wandlung vom Faultier zum angetrunkenen Erdmännchen, will ich am nächsten Morgen mehr. Carsten, der mich heute früh beim Schlürfen seines von mir kredenzten Kaffees mit seinem Fünftagebart an ein Borstenmännchen erinnert, sitzt neben mir, als ich, süchtig nach weiteren Placebo-Effekten, im Internet unterwegs bin und im

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