Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
ist!«, sagt Carsten leicht genervt und ohne mich anzusehen.
»Das hat er in der Rentner-Bravo gelesen.«
»Wo?«
»Er meint die Apothekenumschau, das sei die Bravo für Erwachsene.«
»Na klar. Das ist wahrscheinlich die einzige Bravo, bei der Doktor Sommer in der Geriatrie arbeitet. Ronny ist lustig.«
»Er schien glücklich zu sein, endlich schwarz auf weiß lesen zu können, was er schon lange ahnte.«
»Nun ist gut, Tati. Lass mich in Ruhe fernsehen, ja?«
Warum merkt Carsten nicht, worum es mir eigentlich geht? Ich habe dieses Thema angesprochen, um von ihm zu erfahren, wie zufrieden er mit unserem Sexualleben ist, damit ich weiß, wie zufrieden ich sein kann. Mein Kumpel Ronny nähert sich diesem Problem zwar scherzhaft, aber immerhin ehrlich. Und er scheint mit dieser Selbsterkenntnis ganz gut leben zu können, während die nachlassende Männlichkeit bei anderen Männern zu übersteigerter theoretischer Sexgier führt. Wie bei Ankas Mann, der seine Selbstbestätigung in einer Liebschaft suchte. Wenn Anka ihm libidinöse Handlungen abverlangte, regte ihn das nie zu sexuellen Höchstleistungen an, sondern führte zu Panikattacken, Schnappatmung und Verweigerung. Aber so etwas würde kein Mann öffentlich zugeben. Oder?
»Duhu?«
»Ja!«
»Süßer, Mama hat früher immer gesagt: › Pass auf Tati, Männer wollen nur das Eine! ‹ Ist das bei dir auch so?«
»Bei mir musst du nicht aufpassen!«, brubbelt Carsten entnervt.
»Sei doch mal ernst. Mich interessiert das eben!«
»Tati, was sollen diese komischen Bemerkungen? Machst du mir etwa einen Vorwurf, weil ich im Moment krank bin und nicht nur ›das Eine‹ will?«
Carsten quält sich mühsam in eine Sitzhaltung, die es ihm ermöglicht, mich anzuschauen. Ich habe sofort ein schlechtes Gewissen, so beleidigt und verletzt, wie er mich ansieht. Wie soll ich ihm jetzt erklären, dass es mich gar nicht stört, keinen Sex zu haben, und dass genau das mein Problem ist.
Auf der einen Seite will ich nicht mehr so oft, auf der anderen Seite will ich aber, dass Carsten mich begehrt und sich trotzdem nicht ärgert, wenn ich nicht will. Eine unzerstörbare Erektion bei meinem Anblick ist für mich ein unumstößliches Zeichen dafür, dass ich geliebt werde. Dank Ronnys Offenbarung und eigener Erfahrungen ahne ich, dass diese schönen Zeiten vorbei sind; dass es die »Jungs« in der Mittlebenskrise mit uns Frauen, aber auch mit ihrer eigenen Libido nicht leicht haben. Dass sie mit nachlassendem Testosteronspiegel damit klarkommen müssen, dass ihr kleiner Freund nicht mehr auf Knopfdruck reagiert und dass sie sich morgens lieber noch mal umdrehen, statt mit der Liebsten zu kuscheln. Und wir Frauen haben es nicht leicht, weil wir die körperlichen Reaktionen unserer Männer neu einordnen und nicht im kausalen Zusammenhang mit unserem Äußeren oder der Liebe zu uns sehen dürfen. Das ist schwer. Aber vielleicht denkt Carsten umgekehrt genauso. Er starrt mich immer noch beleidigt an.
»Nein, Schatz. Ich mache dir keinen Vorwurf, weil du nicht immer nur › das Eine ‹ willst«, sage ich versöhnlich. »Ich möchte aber wissen, ob es dich stört!«
»Du machst dir unnötig Gedanken. Erinnerst du dich an unser erstes Date? Damals hast DU betont, wie wichtig dir Sex in der Beziehung sei. Und weißt du noch, was ich darauf antwortete?«
»Ja, du hast gesagt, dass Sex dir nicht am wichtigsten sei. Viel schöner wäre doch, wenn man sich gut unterhalten könne, miteinander lachen und gemeinsame Ziele verfolgen würde. Ich bin damals davon ausgegangen, dass du das nur gesagt hast, um bei mir zu punkten.«
»Nein, Tati. Ich habe genau das gesagt, was ich meinte.« Carsten legt sich wieder in eine bequeme Position.
»Schahatz. Darf ich noch eine Frage stellen!«
»Ja, aber mach schnell, die Werbepause ist gleich vorbei!«
»Liegt das an mir?«
»O Tati, darauf antworte ich nicht. Das ist mir zu blöd!«
Ich lehne mich zufrieden in meine Sofaecke. Carsten stört mein mangelnder libidinöser Enthusiasmus weder im kranken noch im gesunden Zustand, denke ich zufrieden. Am Ende haben Ronny und die Apothekenumschau recht; es wird einfach weniger, tut gar nicht weh und verhindert auch keine Ehe.
Hormonelle Schmerzbefreiung
Nach fünf Wochen sexueller Abstinenz hat die Placebo-Behandlung optimalen Erfolg gebracht. Carsten ist beinahe wieder gesund, und sein Heiratsantrag steht unmittelbar bevor. Es ist neun Uhr morgens, die Novembersonne lacht, und wir fahren gut
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