Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
jetzt die Nationalhymnen, und ich stelle mir gerade vor, wie der Bürgermeister drüben in seinem Vorzelt aus dem Klappstuhl hochschnellt und Haltung annimmt. Wahrscheinlich singt er sogar mit.
»Zu blöd«, sage ich, »dass wir keine Flagge auf dem Dach haben. Wenigstens heute.«
Lena dreht sich beschämt weg. »So, setzt euch. Ihr müsst doch sterben vor Hunger.«
»Die Gemüse-Spieße sehen ja köstlich aus«, sagt Rita. Ich denke, so etwas kriegt sie daheim nicht.
Nachdem Willi das Bierfass angestochen hat, betrachtet er skeptisch die Konstruktion aus Verlängerungskabeln, die ich verlegt habe, als ich aus der überschwemmten Dusche zurückkam. Der Sat-Receiver, der Fernseher, ein elektrisches Anti-Mücken-Lämpchen, die Lichterkette, die Lena über das Vorzelt geschwungen hat. Ich finde, es ist ein sehr hübsches Ensemble geworden. Und das mit nur einer einzigen Steckdose, die an der Außenwand des Wohnwagens angebracht ist.
Ich schalte mit der großen Geste eines Zirkusdirektors den Grill auf die höchste Stufe und drücke den Netzstecker in den verbliebenen Platz der Verteilerdose. Ein paar Funken sprühen kurz auf, ein Kribbeln durchfährt meinen Körper, ich ziehe zuckend meine Hand zurück, und mit einem Mal macht es fomp, und alles wird dunkel.
Der Fernseher ist aus, die Mückenlampe, das Licht im Wohnwagen, die Laternen in unserer kleinen Straße leider auch. »Oh shit«, sagt Lena, und Rita ächzt beinahe synchron: »Mein Gott.«
Ich höre, wie Kater Nero erschrocken aufmaunzt und durch die Hecke flüchtet. In der Dunkelheit glaube ich zu erkennen, wie Willi kopfschüttelnd die Augen schließt. Ich muss an den Sturm-und-Wind-Aufkleber an seinem Wohnwagen denken und daran, dass er sich bestimmt längst dafür verflucht, uns je beim Aufbau geholfen zu haben.
»Das ist ein Kurzer«, sagt Willi knapp und fachmännisch. Auf die Einschätzung wäre ich allerdings auch selbst gekommen. »Jung, das haben wir gleich.«
Wir stehen rätselnd vor meiner Kabelkonstruktion, und während der Willi die Stecker überprüft, werfe ich einen vorsichtigen Blick über die Hecke. Die gesamte Zona Dragone ist mittlerweile finster wie ein Kohlenkeller. Nach einer Weile leuchten auf dem Teerweg die ersten Taschenlampenkegel wie fette Glühwürmchen. Ich höre Männer derb fluchen. Während ihre Gattinnen vermutlich ganz erleichtert sind.
»Scheiße, was machen wir denn jetzt?«, frage ich. »Hast du eine Ahnung, ob es so eine Art Generalschalter gibt, den man einfach nur wieder anknipsen muss?«
Ich fürchte, unsere Vertreibung aus dem Grande Paradiso steht unmittelbar bevor. Ich mag ja viel genörgelt haben, aber so habe ich das auch nicht gewollt.
»Ich rufe Massimo an, der soll den Elektriker herschicken«, sagt Lena.
»Wie willst du das machen? Wir sind hier im Funkloch. Vergessen? Außerdem ist dann doch sofort klar, wer das hier verbockt hat.«
»Sei mir nicht böse«, sagt Rita, »aber der Verdacht liegt auch so ziemlich nahe.«
Willi zündet mit meinem Feuerzeug eine Kerze an, um sich in deren Schein ein frisches Pils zu zapfen. Ich nehme an, das hilft ihm beim Nachdenken.
Wenig später strahlt ein Lichtkegel über die Hecke. »Das waren Sie doch schon wieder, oder?«, schwäbelt eine wütende Stimme, die mich allmählich bis in meine Träume verfolgt. »Sind Sie eigentlich völlig irre?«
»Jetzt mach mal ’ne Pause«, donnert Willi genervt zurück, unter Missachtung des Siez-Gebotes.
»Genau, wie kommen Sie überhaupt dazu?«, sage ich in gespielter Empörung.
Von der Straße her kommt eine Stimme aus der Dunkelheit: »Ist doch nix passiert. Einer holt den Massimo und fertig. Blasen Sie sich mal nicht so auf!«
Der Bürgermeister schiebt ein paar Heckenzweige beiseite, um einen besseren Blick auf den Tatort zu haben. »Sie sind ein Saboteur«, bellt der Bürgermeister, »ich kenne solche Leute.«
Lena protestiert: »Jetzt reicht’s aber.«
Ich versuche, ganz ruhig zu bleiben. »Jetzt passen Sie mal auf, Sie Schlaumeier. Wir wollten hier in Ruhe grillen und Fußball gucken. Okay? Was soll ich da sabotieren?« Ich sage: »Wir sind hier in Italien, da gibt’s nun mal den ein oder anderen Stromausfall.«
»Nicht hier«, insistiert der Bürgermeister. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe fällt jetzt auf die Fünfer-Steckdose und mein improvisiertes Kabelgewirr. »Das sehe ich doch von hier aus, dass Sie damit den Kurzschluss verursacht haben.«
Er zieht die Taschenlampe aus dem Gebüsch. Aus dem
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