Alles bleibt anders (German Edition)
und Ganzen unterzuordnen. Es ist das Ergebnis, das zählt, nicht die Mittel, mit denen es erreicht wurde. Von den Opfern wird keiner mehr reden.«
»Du solltest besser sagen, sie werden totgeschwiegen.«
Dieter zuckte mit den Schultern.
»Bleibt im Endeffekt das Gleiche. Wie viele weise Männer und mächtige Herrscher mag es gegeben haben, von denen heute keiner mehr etwas weiß? Wie viele Manipulation in der Geschichtsschreibung mag es durch die Partei und früher durch das Papsttum und davor durch die Römer, Karthager und Griechen gegeben haben? Wer die Schrift kontrolliert, kontrolliert die Geschichtsschreibung. Und wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert auch die Vergangenheit, so einfach ist das. All die Toten, meine Liebe, wird es nie gegeben haben. Wenn wir sagen, 'Es gab kein Auschwitz und es gibt kein Auschwitz!', dann ist das die Wahrheit, weil wir sie dazu machen! Und der, der anderes behauptet, ist der Lügner.«
Frank entdeckte, wie Karen hinter Jakobs Rücken an etwas herumfingerte.
»Erkennst du denn nicht den Irrsinn hinter euren Gesetzen, die Widersprüche im System?«, spielte sie weiter auf Zeit.
»Es gibt keine Widersprüche im System! Das Reich ist in Ordnung. Vaterlandsverräter wie Frank und du und Schmarotzer wie Levy und sein ganzes Pack schaffen erst das Chaos, machen die Gesetze notwendig.«
Jakob runzelte die Stirn.
Jetzt erst erkannte Frank, was Karen da in ihrer Hand hielt. Sie hatte die Pistole, die er beim Sturz in den Keller verloren hatte. Verzweifelt versuchte Karen, Dieter weiterhin ins Gespräch zu verwickeln und gleichzeitig die Waffe zu entsichern, ohne einen Blick darauf zu werfen, was Dieter sicher auffallen würde.
Frank übernahm es, Dieter abzulenken: »Gesetze, die du auch hier einführen möchtest, ja?«
»Oh, ich fühle mich geschmeichelt, Frank. Du hast in diesen fünf Tagen, seit du hier bist, sogar von meiner Parteigründung erfahren. Ja, diese Welt hier ist ähnlich wie die unsere vor einhundert Jahren. Die Monarchie liegt im Sterben, die Industrialisierung schreitet voran, die Arbeitslosigkeit schafft Kummer und Neid. Der Keim des Nationalsozialismus' fällt auf fruchtbaren Boden. Die politische Situation verlangt eine starke Doktrin, einen mächtigen Führer.«
»Nein«, flüsterte Frank. Mit einem Male erkannte er die Konsequenzen, die sich aus den Worten Dieter Wiegands ergaben. Sein Schicksal oder Claires Schicksal waren unbedeutend, verglichen mit der Tragweite, die Dieters Pläne hatten.
Dieter amüsierte sich.
»Es ist nicht gerade das, was sich euer naiver Professor vorgestellt hat. Ich bin auch überzeugt davon, dass sich noch nicht einmal die Parteiführung der Möglichkeiten bewusst ist, die uns Professor Gothaer eröffnet hat: unendlich viele Welten, unendlich viele Möglichkeiten. Zur Sicherung der eigenen Macht, zur Verbreitung unserer Ziele. Agenten können ausgetauscht werden, Soldaten, ja, ganze Armeen werden zwischen den Ebenen reisen. Unsere Welt wird nicht genug sein.«
Frank hörte ein leises Klicken. Fast lautlos. Dieter schien es nicht vernommen zu haben.
»Nachdem das hier erledigt ist, werde ich den Signalgeber drücken. Auf den Gesichtsausdruck Gothaers freue ich mich schon jetzt, wenn er mich wieder sieht. Natürlich werde ich mir eine entsprechende Geschichte ausdenken, wäre ja nicht das erste Mal. Gothaer wird mir vertrauen, wie er es auch vor drei Jahren getan hat. Dann werde ich, so schnell wie möglich, die Gestapo kontaktieren. Ich werde die Partei über alles informieren und ich habe keinerlei Bedenken, dass sie meinem Plan, hierher zurückzukehren unterstützen wird.«
Aus den Augenwinkeln heraus sah Frank, wie Karen langsam ihre Hand erhob. Immer noch von Jakobs Rücken vor Wiegands Blicken versteckt, zielte sie in Wiegands Richtung. Frank erkannte, dass einzig und allein noch Jakob Karens Plan im Wege stand.
»Die 1399er Ebene wird zum Modell werden, zum Modell für viele weitere Ebenen. Der Name 'Dieter Wiegand' wird in dieser Welt den Platz einnehmen, den in der unseren der Name 'Adolf Hitler' hat!«
Trotz des schlechten Lichts war der Glanz in Dieters Augen unverkennbar. Nur für einen kurzen Moment schwelgte Dieter Wiegand in seinem Traum.
Diesen Zeitpunkt nutzte Frank.
Er packte Jakob am Arm und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran.
Dieter, in die Realität zurückgeholt, zuckte zusammen. Eine Sekunde der Orientierung genügte ihm, die Situation zu erkennen. Er schwenkte seine Waffe zu der Person, die eine Gefahr für
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