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Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Titel: Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Bewusstsein fest verankerte, wie Max Weber es in seinem Aufsatz über die protestantische Ethik sah, hat durch die fortschreitende Banalisierung ihrer selbst mit dazu beigetragen, diese »Krise des Kapitalismus« auszulösen, von der immer lauter die Rede ist.
    Die Frivolität entwaffnet moralisch eine gottlose Kultur. Sie untergräbt ihre Werte und ermuntert zu unredlichen und manchmal offen kriminellen Praktiken, ohne dass es dafür irgendwelche moralischen Sanktionen gäbe. Was umso schlimmer ist, wenn derjenige, der sich auf diese Weise vergeht – etwa indem er die Privatsphäre einer prominenten Person verletzt, um sie in einer verfänglichen Situation zur Schau zu stellen –, mit dem Medienerfolg belohnt wird und es schafft, die fünfzehn Minuten Ruhm zu erlangen, die Andy Warhol für alle und jeden prophezeite. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit für das, was ich meine, ist der sympathische italienische Betrüger Tommaso De Benedetti, der jahrelang in Zeitungen seines Landes »Interviews« mit Schriftstellern, Politikern, Geistlichen (einschließlich dem Papst)veröffentlichte, die oft auch von Zeitungen in anderen Ländern übernommen wurden. Sie alle waren erfunden, von vorn bis hinten Schmu. Ich selbst war einer seiner »Interviewpartner«. Entdeckt hat den Bluff der amerikanische Romancier Philip Roth, als er sich in einigen Aussagen, die ihm die Presseagenturen zuschrieben, nicht wiedererkannte. Er verfolgte die Spur der Nachricht, bis er auf den Fälscher stieß. Ist Tommaso De Benedetti etwas passiert, weil er Zeitungen und Leser mit seinen neunundsiebzig bislang aufgeflogenen Beiträgen getäuscht hat? Fehlanzeige. Die Enthüllung des Betrugs hat ihn zu einem Medienhelden gemacht, einem verwegenen, aber harmlosen Schelm, dessen Bild triumphal um die Welt ging. Und auch wenn es traurig ist, dies anzuerkennen, aber er ist wirklich ein Held. Er selbst verteidigt sich mit einem hübschen Paradox: »Ich habe gelogen, aber nur um die Wahrheit zu sagen.« Welche? Dass wir in einer Zeit des Betrugs leben, in der man das Vergehen, wenn es amüsant ist und die Menge unterhält, verzeiht.
    Zwei Dinge haben in den letzten Jahren die Religion zu einem aktuellen Thema gemacht und in den entwickelten Demokratien scharfe Polemiken ausgelöst. Zum einen, ob man aus den öffentlichen, vom Staat verwalteten und von allen Steuerzahlern finanzierten Schulen jede Form religiösen Unterrichts ausschließen darf. Und zum anderen, ob man den Mädchen und jungen Frauen in der Schule das Tragen von Kopftuch, Hidschab und Burka verbieten soll.
    Jede Form von Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen abzuschaffen hieße, der jüngeren Generationein grundlegendes Wissen vorzuenthalten, mit demsie ihre Geschichte, ihre Tradition verstehen und sich westliche Kunst, Literatur und Philosophie erschließen kann. Unsere Kultur ist durchdrungen von religiösen Gedanken, Anschauungen, Bildern, Festen und Bräuchen. Die schulische Erziehung von diesem reichen Erbe abzutrennen würde bedeuten, die Heranwachsenden völlig ungeschützt der Kultur des Spektakels auszuliefern, der Frivolität, der Ignoranz und Oberflächlichkeit, dem Klatsch und schlechten Geschmack. Ein offener und verantwortungsbewusster Religionsunterricht, der die hegemoniale Rolle erklärt, die das Christentum für unsere Kultur gespielt hat, mit all seinen Zwisten und Abspaltungen, Kriegen und historischen Wirkungen, seinen Errungenschaften und Exzessen, Heiligen und Mystikern, Märtyrern und Gemarterten, ein solcher Unterricht ist unerlässlich, wenn man nicht will, dass die Kultur weiter in diesem Tempo degeneriert, und wenn die Welt in der Zukunft nicht aufgeteilt sein soll zwischen kulturellen Analphabeten hier und ungebildeten, unsensiblen Spezialisten dort.
    Das Tragen eines Kopftuchs oder einer Kleidung, die den Körper der Frau zum Teil oder ganz bedeckt, sollte in einer demokratischen Gesellschaft eigentlich kein Anlass zur Debatte sein. Herrscht hier etwa nicht die Freiheit? Welche Freiheit soll das sein, die ein Mädchen oder eine junge Frau daran hindert, sich nach den Vorschriften ihrer Religion oder nach Lust und Laune anzuziehen? Doch es ist keineswegs gesagt, dass die Entscheidung, ein Kopftuch, Hidschab oder Burka zu tragen, von dem Mädchen, der Jugendlichen oder der Frau frei getroffen wurde. Sehr wahrscheinlich tragen sie diese Kleidung weder, weil es ihnen so gefällt, nochaus freien Stücken, sondern als Symbol des Standes, den die islamische

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