Alles Fleisch ist Gras
halt überarbeitet. Der Arzt, meinte sie, werde dasselbe sagen.
Zum Arzt ging er nicht.
Dafür erzählte er eines besonders üblen Vormittages alles, was er Hilde erzählt hatte, Helga. Das war keine gute Idee. Wenn man es freundlich formulieren sollte, musste man sagen: Helga hatte kein Interesse an seinen Leiden. Nicht nur an seinen. Sie lehnte das Thema Krankheit ab. Sie lehnte es ab, darüber zu sprechen und davon zu hören. Umso massiver, je näher ihr die erkrankte Person stand. Sie wurde selber nie krank. Das vermittelte sie ihm in wenigen Worten; es waren die schärfsten Äußerungen in der noch kurzen Geschichte ihrer Beziehung. Wenn er darauf geantwortet hätte, wäre der erste Streit daraus entstanden. Er unterließ die Antwort, nickte nur, murmelte etwas in der Art, das Ganze sei ja nichtso wichtig. An diesem Tag sprachen sie nicht mehr miteinander, denn sie ging ihm aus dem Weg.
Helga war nicht nachtragend, das musste er zugeben, denn schon am nächsten Morgen kam sie mit einem Bündel Unterlagen als Tarnung in sein Büro und lächelte ihn auf jene Art an, die er nicht missverstehen konnte. Alles war wieder in Ordnung, hieß dieses Lächeln. Und ja, vielleicht am Abend … warum nicht? Es war ein Code-Lächeln, das kein Außenstehender sah und sehen durfte. Es war so lasziv (Galba erschien es so), dass auch der Stumpfeste die Bedeutung begriffen hätte.
Die Stunden zogen sich hin, alles war in Ordnung. Wenn der Tag mit diesem speziellen Lächeln der Helga Sieber begonnen hatte, taten das die Stunden, das konnte nicht anders sein. Galba freute sich auf den Abend, rief seine Frau an, dass er später kommen würde, weil er das Einlaufprofil am Gärbehälter 2 überprüfen müsse, da sei etwas nicht in Ordnung.
Es kam ein hochsommerlicher Abend, klar und warm. Der abnehmende Mond zeigte seine Sichel, stand in der Dämmerung schon tief im Westen, in zwei Stunden würde es dunkel sein. Galba arbeitete, wie er es seiner Frau angekündigt hatte, am Computer. Er wartete, nachdem der letzte Mitarbeiter gegangen war, noch eine Viertelstunde, dann ging er auch. Zu Fuß in den Wald hinein. Am Treffpunkt trat sie aus dem Schatten einer hohen Fichte. Es war wie immer. Das Auto hatte sie an der Furt geparkt, wo auch die Autos der Jogger und Spaziergänger standen. Und die Autos der Hundehalter, die erst jetzt mit ihrem Tier ins Freie kamen.
Sie sagte nichts, umarmte ihn, küsste ihn, er spürte die Brüste unter der dünnen Bluse, drückte sie an sich, die Anspannung fiel von ihm ab. Es war, wie es sein sollte. Rundum blieb alles still.
Vielleicht wäre alles auch weiter so gewesen, wie es sein sollte, wenn sie nicht vom Schema abgewichen wäre. Ja, sie hatten ein Schema, er gab es später vor sich selber zu, na und? Was ist schlecht an einem geregelten Ablauf? Sie waren berufstätig, auf ihn wartete zu Hause eine Frau, die zum Glück nicht zu Misstrauen neigte; sollte er es etwa durch ausuferndes Wegbleiben wecken, dieses Misstrauen? Und zu ausuferndem Wegbleiben kann der Rausch der Leidenschaft führen, wenn man kein Schema hat. Es sah vor, dass sie sich von der hohen Fichte weg zu einem von zwei bevorzugten Plätzen begaben. Der eine war der Hochstand, der andere ein Baumstamm mitten im Wald, von einem weichen Moosteppich umgeben; dieser Platz war nicht leicht zu finden, er bevorzugte ihn, der Hochsitz war ihm seit der unangenehmen Erfahrung mit Roland Mathis zuwider. Man lief von der Fichte bis zum Baumstamm auf einem schmalen Pfad etwa zehn Minuten, im Dunkeln kam man nicht so schnell voran. Helga hatte heute keine Lust auf diesen Marsch. Was sie wollte, das wollte sie gleich, lehnte sich an den Fichtenstamm, zog ihn an sich, ließ ihren linken Fuß an seinem Hosenbein nach oben gleiten, er spürte ihre weiche Sohle durch den Stoff, alles war wie in einem erotischen Traum, wie er ihn nie geträumt hatte. Sie lächelte, er sah es nicht, es war zu dunkel, aber er spürte ihr Lächeln, ihren Körper, der sich an den seinen drängte, ihre Bereitschaft. Hier und gleich.
Sonst spürte er nichts. Gar nichts.
Er schob den Pullover hoch, streichelte ihre Brüste. Er schob ihren Rock hoch, strich mit den Händen die nackten Schenkel entlang. Alles wunderbar, ganz wunderbar, unter dem karierten Rock trug sie nichts. Diesen Rock von schwerem Wollstoff, viel zu warm für den Hochsommer; diesen Rock hatte er selten an ihr gesehen, fiel ihm nun ein. Wann dasletzte Mal? Er konnte sich nicht erinnern, er war ihm schon
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