Alles für die Katz
Rückfahrt immer nur bergauf ging. Immer wieder hielt der Braune an, schaute sehr traurig und kaute etwas auf Gras rum. Warum er dies tat, verstehe ich auch nicht. Wir Katzen essen nur Gras, wenn wir unsere Haare rauskotzen wollen. Aber bei euch habe ich nie gesehen, dass einer Haare kotzt. Wahrscheinlich macht ihr dies in dem Zimmer, das ihr immer abschließt.
Aber ich fasele schon wieder. Das liegt bestimmt daran, dass ich das, was ich euch nun erzählen muss, weit wegschieben will. Ihr merkt, ich habe schon einmal das Titelblatt von »Psychologie heute« gesehen.
Aber es hilft nichts: Auch das Schlimme muss raus.
Ich hatte schon eine recht lange Zeit in dem Kloster verbracht, war fast jeden Morgen mit dem Traurigen zum Singen gefahren, hatte gefrühstückt, dann später bei Pater Roland gegessen, mit Lola – na ja, ist schon klar – und nachts auf den Füßen von Pater Dominik, dem Traurigen, geschlafen.
Der war immer trauriger geworden.
Abends, er zog dann den Stoff vor die Fenster und verschloss die Tür, schaute er sich oft das Bild einer Frau an. Ich fragte mich, warum er das blöde Bild immer anschaut, wenn er dann doch eh nur traurig wird. Aber ihr Menschen quält euch wohl gerne …
Ich überlegte, ob ich nicht einfach mit meinen Krallen das Bild zerkratzen sollte. Aber das Problem war, dass ich nicht rankam, wir Katzen können nämlich nur sehr schlecht mit diesen Dingern umgehen, die ihr Schlüssel nennt.
In der Hinsicht könnt ihr mir also keine Vorwürfe für das machen, was passierte.
Aber ich greife vor: Eines Tages, wir hatten wieder toll gefrühstückt, fuhren wir zurück zum Kloster. Dominik sprach kaum, trat auch viel schwerer als sonst. Wir hielten auch nicht an, um ein wenig Gras zu kauen. Ich dachte, dass es an dem Nebel lag und es Dominik einfach zu kalt war.
Aber das war es nicht.
Als wir in der Stadt mit der Burg die Brücke erreichten, die über den Fluss führt, den Dominik immer die ›breite Rur in Heimbach‹ nannte, hielt er an.
Er lehnte das Tretding an das Geländer, streichelte mir ganz lieb über den Kopf und – mir blieb fast das Herz stehen – sprang ohne ein Wort zu sagen einfach kopfüber in den Fluss.
Ich war geschockt, sprang aus meinen Körbchen und schaute durch das Geländer. Da lag er im Fluss, der an dieser Stelle wohl nicht zu tief war.
Mit dem Gesicht nach unten – seine braunen Frauenkleider lagen wie ein Schutz über ihm, das Ende der weißen Schnur zitterte durch die schwachen Wellen.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, was in mir vorging. Einfach so wegzugehen, ohne ein Wort, ohne mir ein Wort zu sagen. Vor meinen Augen verschwamm alles. Ich hörte plötzlich Stimmen und Geräusche, die überhaupt nicht da waren, ich hörte das Geklingel der Jungen mit den roten Mädchenröcken und den weiten weißen Hemden, die jeden Morgen mit dem Brauen in die Halle gingen, ich hörte die Stimmen aus der großen Klosterhalle, ich roch den Rauch aus dem kleinen Silberfass, mit dem gewedelt wurde, hörte die einsame Stimme des Vorsängers. Und ich spürte, dass ich mich vor diesen Tönen, diesen Gerüchen, diesen Stimmen fürchtete.
Irgendwo gab ich diesen Tönen, Gerüchen, Stimmen auch die Schuld, dass Dominik da unten lag.
Ich weiß, ich weiß, ich kann das nicht beweisen, aber mein Katzengefühl trügt mich in solchen Fragen selten. Mir war klar, dass ich nie wieder in das Kloster zurückgehen wollte.
Nie mehr! Ich war wieder auf dem Weg nach Hause: »Lola lebe wohl!«
Ich weiß nicht, wie lange ich an der Brücke gestanden und nach unten gestarrt habe. Wenn ich heute zurückdenke, glaube ich, dass dicker Nebel über der Rur lag – in Wirklichkeit schien aber inzwischen strahlend die Sonne. Wie ich so dastand, hielt plötzlich ein Wagen: »Ein Fahrrad mitten auf der Brücke.«
Zwei Männer liefen hin und schauten in die Tiefe. Dann wurden sie sehr hektisch: »Da liegt einer!«, »Bleib du hier, ich hole Hilfe!«, »Renn’ runter, los renn’ runter! Vielleicht kannst du ja noch was machen!«
Einer der Männer fuhr mit dem Wagen weg, der andere lief an die Rur, stieg einfach ins Wasser und drehte Dominik um: Seine Augen waren geschlossen, aber – und das bilde ich mir nicht ein – er lächelte, wie ich ihn noch nie hatte lächeln sehen. Klar, in diesem Augenblick hoffte ich natürlich, dass Dominik noch leben würde, aber der Mann, der neben ihm im Wasser kniete, schüttelte den Kopf. So, als hätte er mich bemerkt und wollte mir etwas mitteilen.
Ihr
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