Alles Glück kommt nie
sah nun mal Dinge im Leben vorher, die ...
»Ich auch«, stimmte er zu, um das Rationale, das Logische, die Paraphe am Rand, das Gelesene und Gebilligte, das schön Formulierte in einem Leben voller Bestimmungen, Klauseln und Garantien zu verscheuchen. »Ich auch.«
Schließlich hatte er diesen langen Weg auf sich genommen, um Anouk zu finden, und er hatte das Gefühl, dass sie nicht weit war.
Sie hatte sogar den Nacken vor ihm gestreichelt.
Direkt vor ihm.
»Dann wollen wir mal sehen, was uns die Schnecken übriggelassen haben ...«
Sie schnappte sich einen Korb, den er ihr sogleich aus der Hand nahm. Und wie am Abend zuvor, und wieder unter einem blass lavierten großen Himmel, verließen sie den Hof und wurden zwischen den Gräsern langsam kleiner.
Hirtentäschel, Margeriten, Schafgarbe mit den grazilen Schirmchen, Feigwurz, Schöllkraut, Sternmiere, Charles kannte diese Pflanzen nicht beim Namen, wollte sich aber gern ein wenig lieb Kind machen: »Was ist das da vorne, mit dem weißen Stengel?«
»Wo?«
»Gleich hier.«
»Ein Hundeschwanz.«
»Ach?«
Ihr Lächeln, wenngleich spöttisch, fügte sich gut in die Landschaft.
Die Mauer um den Gemüsegarten war in sehr schlechtem Zustand, aber das von zwei Pfeilern eingerahmte Gartentor beeindruckte noch immer. Charles strich im Vorbeigehen darüber und ließ sich von der rauhen Oberfläche der Flechten kitzeln.
Kate öffnete quietschend die Tür zu einer kleinen Hütte, holte ein Messer, und er folgte ihr ins Gemüse. Die Reihen waren schnurgerade, top in Schuss und zu beiden Seiten zweier sich kreuzender Pfade angeordnet.
Nein, er wollte sich nicht lieb Kind machen, er lernte einfach gern dazu. »Und diese krummgewachsenen kleinen Bäume dort, neben dem Pfad, wie heißen die?«
»Krummgewachsen?«, wiederholte sie entrüstet, »beschnitten meinen Sie? Das sind Apfelbäume, und bitte schön im Gegenspalier!«
»Und dieses wunderschöne Blau an der Mauer?«
»Das hier? Die Bordeaux-Brühe? Das ist Kupferkalk gegen den Pilzbefall der Weinreben ...«
»Machen Sie auch Wein?«
»Nein. Wir essen die Trauben nicht einmal. Sie schmecken scheußlich.«
»Und diese großen gelben Blütenkronen?«
»Das ist Dill.«
»Und das hier? Dieser Federbusch?«
»Spargelstauden.«
»Und diese großen Kugeln?«
»Knoblauchblüten.«
Sie drehte sich zu ihm um: »Ist es das erste Mal, dass Sie einen Gemüsegarten sehen, Charles?«
»Aus dieser Entfernung, ja.«
»Wirklich?« Sie war aufrichtig betrübt. »Wie haben Sie denn bisher überlebt?«
»Das frage ich mich auch.«
»Haben Sie noch nie Tomaten oder Himbeeren gegessen, die Sie frisch gepflückt haben?«
»Als Kind vielleicht.«
»Haben Sie noch nie eine Stachelbeere über Ihre Lippen gerollt? Noch nie eine Walderdbeere gegessen, die noch lauwarm war? Haben Sie sich noch nie an viel zu bitteren Nüssen die Zähne ausgebissen und die Zunge ruiniert?«
»Ich fürchte, nein. Und diese riesigen roten Blätter hier links?«
»Wissen Sie, diese Fragen sollten Sie dem alten René stellen, wie sehr würde er sich freuen. Und außerdem kann er Ihnen alles viel besser erklären. Ich darf den Garten gerade mal betreten. Wir nehmen auch nur«, sie bückte sich, »ein paar Salatköpfe mit, um Ihren Festschmaus zu ergänzen, und legen, schwuppdiwupp, das Messer wieder zurück, ohne dass jemand etwas gemerkt hat.«
Gesagt, getan.
Charles inspizierte den Inhalt seines Korbes. »Was gefällt Ihnen nicht?«
»Unter einem Blatt – ist eine riesige Nacktschnecke.«
Sie beugte sich darüber. Ihr Nacken ... Packte das Tier und legte es in einen Eimer dicht neben dem Seitentürchen.
»Früher hat René sie alle plattgemacht, aber Yacine hat ihn dermaßen bearbeitet, dass er ihnen nichts mehr tut. Jetzt wirft er sie beim Nachbarn in den Gemüsegarten –«
»Warum das denn?«
»Weil der Nachbar seinen Hahn getötet hat.«
»Und warum interessiert sich Yacine so für Schnecken?«
»Nur für die großen hier. Weil er irgendwo gelesen hat, dass sie zwischen acht und zehn Jahre alt werden können.«
»Na und?«
» My goodness! Sie sind genau wie er! Ich weiß es nicht. Er denkt, wenn die Natur oder Gott oder wer auch immer mit Absicht so ein kleines, abstoßendes und doch robustes Tier erschaffen hat, dann muss das Gründe haben, und dann wäre ein heftiger Schlag mit dem Spaten, um es loszuwerden, eine Beleidigung der ganzen Schöpfung. Er hat viele Theorien wie diese. Er sieht René beim Arbeiten zu
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