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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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und unterhält ihn stundenlang, erzählt ihm von den Anfängen der Welt, von der ersten Kartoffel bis heute.
    Der Kleine ist zufrieden, er hat ein Publikum, der Alte ist selig, er hat mir irgendwann gestanden, dass er noch vor seinem Tod den Schulabschluss nachholen wird, und die großen Nacktschnecken sind erfreut. Sie machen einen Ausflug in die Stadt. Kurzum, jeder kommt auf seine Kosten. Kommen Sie, wir gehen über den Aussichtspunkt zurück, dann sehen wir gleich, was sie gerade anstellen. Es ist immer beunruhigend, wenn man nichts hört.«
    Sie gingen an den Überresten der Mauer entlang und nahmen einen Feldweg, der sie auf den Hügel führte.
     
    Von Hecken gesäumte hügelige Wiesen, so weit das Auge reichte, Strohballen, Waldstücke, ein riesiger Himmel und darunter eine Rasselbande, mehr oder weniger im Badeanzug,mehr oder weniger rittlings auf Tieren mit Fell, lachend, schreiend, brüllend rannten sie am Ufer eines sehr dunklen Flusses entlang, der unbeirrt seinen Lauf nahm und sich hinter weiteren Waldstücken verlor...
    »Gut. Alles in Ordnung«, seufzte sie. »Dann können wir uns auch mal ein wenig setzen.«
    Charles rührte sich nicht.
    »Kommen Sie?«
    »Gewöhnt man sich daran?«
    »Woran?«
    »Daran.«
    »Nein. Jeder Tag ist anders.«
    »Gestern«, dachte er laut, »war der Himmel rosa, waren die Wolken blau, heute Abend ist es umgekehrt, diesmal sind die Wolken ... Leben – leben Sie schon lange hier?«
    »Neun Jahre. Kommen Sie, Charles. Ich bin müde. Ich bin sehr früh aufgestanden, ich habe Hunger, und ich friere.«
    Er zog seine Jacke aus.
     
    Es war ein alter Trick. Er hatte ihn schon tausendmal angewandt.
    Ja, es war ein alter Trick, auf dem Rückweg seine Jacke um die Schultern einer hübschen Frau zu legen, aber das wirklich Neue war, dass er gestern Abend eine Kettensäge getragen hatte und heute einen Korb voller Nacktschnecken trug.
    Und morgen?
     
    »Sie sehen auch müde aus«, sagte sie.
    »Ich arbeite viel.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Und was bauen Sie?« Nichts.
    Er senkte den Arm.
    Eine große Schwermut war in seine Geldkatze gefallen.
     
    Er hatte auf ihre Frage nicht geantwortet.
    Kate neigte den Kopf. Überlegte, dass auch ihre Füße nackt in Stiefeln steckten.
    Dass ihr Kleid fleckig war, ihre Fingernägel abgebrochen, ihre Hände schrecklich anzusehen. Dass sie keine fünfundzwanzig mehr war. Dass sie den Nachmittag damit zugebracht hatte, auf dem Schulhof einer von der Schließung bedrohten kleinen Schule selbstgebackenen Kuchen zu verkaufen. Dass sie gelogen hatte. Dass es fünfzehn Kilometer von hier entfernt ein Restaurant gab. Dass sie sich bestimmt lächerlich gemacht hatte, als sie ihm ihre ganzen Steine präsentiert hatte, als handelte es sich um einen herrlichen Palast. Ausgerechnet ihm. Diesem Mann, der sie vermutlich alle besichtigt hatte. Und den sie mit ihren Geschichten von Gäulen, Hühnern und ungeschliffenen Kindern zugetextet hatte.
    Ja, aber ... Wovon hätte sie sonst erzählen sollen?
    Was gab es sonst in ihrem derzeitigen Leben?
    Sie schob die Hände zurück in die Taschen.
    Der Rest wäre viel schwieriger zu verschleiern.
     
    Sie gingen den Hügel hinunter, Schulter an Schulter, schweigend und weit voneinander entfernt.
    In ihrem Rücken ging die Sonne unter, und ihre Schatten waren riesig.
     
    » Und «, flüsterte sie sehr langsam,
    » I will show you something different from either
    Your shadow at morning striding before you
    Or your shadow at evening rising to meet you
    I will show you your fear in a handful of dust. «
     
    Da er stehen geblieben war und sie auf eine Art anschaute, die sie unsicher werden ließ, fühlte sie sich gezwungen, hinzuzufügen: »T.S. Eliot.«
    Aber Charles interessierte sich nicht die Bohne für den Namendes Dichters, es war vielmehr der Rest, der ... den ... wie hatte sie es erraten?
     
    Wer war diese Frau, die über eine Welt voller Phantome und Kinder herrschte, die sehr schöne Hände hatte und bei Einbruch der Dunkelheit glasklare Verse aufsagte?
     
    »Kate?«
    »Mmm.«
    »Wer sind Sie?«
    »Komisch. Genau diese Frage habe ich mir auch gerade gestellt. Nun ja. Von weitem würde man wohl sagen, eine dicke Bäuerin in Gummistiefeln der Marke Le Chameau , die versucht, sich interessant zu machen, indem sie einem zugepflasterten Mann Bruchstücke eines deprimierenden Gedichts aufsagt.«
    Und ihr Lachen ließ ihre Schatten erzittern.
    » Come along , Charles! Jetzt schmieren wir uns ein paar ordentliche

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