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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Schreibtisch erwartete.
    Er schnallte den Gürtel zu und schaltete, ohne eine Miene zu verziehen, den Computer an. Die schlechten Nachrichten hatte er hinter sich, der Rest wäre nur noch Ärger, und Ärger focht ihn nicht mehr an. Ihre neuen Normen, ihr Umwelt-Grenelle, ihre Gesetze, ihre scheinheiligen Verordnungen, mit denen sie einen Planeten retten wollten, der schon ausgeblutet war, ihre Kostenvoranschläge, ihre Erhebungen, ihre Beteiligungen, ihre Schlussfolgerungen, ihre Ausschreibungen, ihre Mahnungen und ihre Forderungen, heiße Luft, nichts als heiße Luft. Es gab, mitten unter uns, Leute einer anderen Kaste, die sich sofort erkannten, wenn sie einander begegneten, und die ihn ins Vertrauen gezogen hatten.
     
    Dennoch gehörte er nicht dazu. Konnte sich nicht dazu durchringen und hatte sich tunlichst davor gehütet, sich auf das geringste Leid »einzulassen«. Nur konnte er es jetzt nicht mehr ignorieren. Anouk hatte ihm einen toten Spatz untergejubelt, und er hatte sich in einen Hühnerstall vorgewagt.
    Er war etwas entstellt zurückgekehrt, hatte dafür aber Gewürze und Gold geladen.
    Dass man den Kartographen nicht mit Ehrungen überhäufte, dass man ihn nicht bei Hofe empfing, dass er alles nur in Blei verwandeln durfte.
    Nicht ihre Lebensgeschichte hatte ihn aufgewühlt, sondern das, was sie über seinen Schatten gesagt hatte.
    Möglicherweise würde er nie mehr dorthin zurückkehren, möglicherweise hätte er keine Gelegenheit mehr, sich von ihr zu verabschieden, möglicherweise würde er niemals erfahren, ob Samuel genug trainiert hatte, und würde auch Nedras Stimme niemals hören, aber eins ist sicher, er würde auch niemals von ihnen loskommen.
     
    Wohin er auch ging, was immer er tat, er wäre bei ihnen und bewegte sich mit erhobenen Händen durchs Leben.
    Anouk war es herzlich egal, ob sie hier oder da verweste. Ihr war alles herzlich egal, nur nicht das, was sie ihm vermacht hatte, worauf sie verzichtet hatte.
    Um Kates Formulierung aufzugreifen, er würde seinen »Vorbildern niemals bis zum Knöchel reichen«, hätte keine eigenen Kinder und würde »in seinem Schattendasein« verkümmern, aber bis dahin würde er leben. Leben.
    Das war das große Los, das unter Pasteten und Würsten versteckt gewesen war.
     
    Nach diesen hochtrabenden lyrisch-wurstigen Gedanken las er seine Mails und machte sich an die Arbeit.
    Nach wenigen Minuten stand er wieder auf und ging zu seinem Regal.
    Griff nach einem Farbenlexikon.
    Eine Sache gab es nämlich, die ihn seit dem ersten Feuer nicht mehr losließ.
    Venezianisch-Rot: Haarfarbe mit Mahagonischimmer. Der gleichnamige Farbton trägt zur Schönheit der Venezianerinnen bei . Hatte er es sich nicht gedacht?
    Und wo er schon dabei war, schlug er im Petit Larousse schnell noch »Quirtständer« nach.
    Du hast recht, Alter, du kommst nicht von ihnen los, was?
     
    Er zuckte mit den Schultern und machte sich diesmal wirklich an die Arbeit. Die Scherereien prasselten von überallher aufihn ein? Egal. Er war jetzt ausgestattet mit einer »kurzen Lederpeitsche, mit der Pferde in der Manege angetrieben werden«.
    Bis sieben Uhr arbeitete er konzentriert, brachte das Auto zurück und ging zu Fuß nach Hause.
     
    Hoffte, hinter der Tür jemanden anzutreffen.
    Die beiden Mailboxen, die er der Reihe nach angesteuert hatte, konnten seine Frage nicht beantworten.
    Etwas steif in den Knochen, ging er die Rue des Patriarches entlang.
     
    Er hatte Hunger und träumte davon, in der Ferne eine Glocke zu hören.

3
    Ich gebe dir keinen Kuss, ich habe mir gerade eine Maske gemacht«, warnte sie ihn mit spitzen Lippen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie kaputt ich bin. Ich habe das Wochenende mit total hysterischen Koreanerinnen verbracht. Ich glaube, ich nehme noch ein Bad und gehe dann ins Bett.
    »Willst du nichts mehr essen?«
    »Nein. Wir haben uns heute das Ritz angetan, und ich habe zu viel gefuttert. Und du? Hat alles geklappt?«
     
    Sie hatte nicht einmal den Kopf gehoben. Hatte es sich auf dam Canapé bequem gemacht und blätterte in einer amerikanischen Vogue .
    »Sieh dir das an, ist das nicht vulgär?«
    Nein. Charles hatte keine Lust, es sich anzuschauen.
    »Und Mathilde?«
    »Sie ist bei einer Freundin.«
     
    Er hielt sich an der Klinke fest und erlebte einen Moment der – der Kraftlosigkeit.
    Sie hatten eine Einbauküche, die ein Freund von Laurence – Innenarchitekt, Raumgestalter, Tonerzeuger, Lichtbildner und was er nicht alles war – entworfen

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