Alles Glück kommt nie
die Mittelhand.
»Für deine Kinder –«
Das, okay. Gab ihn frei.
Er drehte sich ein letztes Mal um, sah aber nicht die trostlosen Ebenen, die ausgehungerten Soldaten, denen die Füße abfroren und die sich in Lumpen oder Schafsfelle gehüllt hatten,sondern eine letzte Tätowierung. Stacheldraht über den gesamten Arm, der sich in die Luft schwang, um ihm viel schtschástja zu wünschen.
Die Rückkehr gestaltete sich allerdings hart. Wie ein betagter Student zu leben, wenn das Leben dem Zeitplan hinterherhinkte, war nicht weiter schlimm, aber nach einer Niederlage zu landen, wenn man kein Zuhause mehr hatte, das war – eine andere Kiste.
Er hatte nicht die Kraft, sich ein Taxi zu nehmen, und knabberte in der S-Bahn an seinem Debakel.
Eine unschöne Fahrt. Traurig und schmutzig. Links Türme, rechts kampierende Roma. Warum eigentlich »Roma«? Seien wir nicht so zimperlich, man könnte auch Slums sagen. Das müssen wir der Globalisierung lassen, dass sie uns erlaubt, überall die gleichen Sehenswürdigkeiten zu genießen. Er sah jede Menge Dreck und Plunder draußen vorüberziehen, der sich bis zum Gleisbett vorgearbeitet hatte, und er dachte daran, dass Anouk hier gestorben war.
Nounou im Klo und sie am Ausgangspunkt der Reise ...
In dieser Alles-ist-ein-einziger-Schlamassel-Stimmung erreichte er sein Lager auf der andren Seite der Gare du Nord.
Er begab sich direkt ins Büro seines Kompagnons und öffnete seine Patronentasche.
»Terror beii, decus pacis ...«
»Wie bitte?«, seufzte Philippe und zog die Augenbrauen bedrohlich hoch.
»Schrecken im Krieg, Zierde in Friedenszeiten, hier hast du ihn wieder.«
»Wovon sprichst du?«
»Von meinem Marschallstab. Dorthin kehre ich nicht mehr zurück.«
Die weitere Unterhaltung drehte sich stark um technischeDinge, finanzielle vielmehr, und als Charles die Tür hinter dem bitteren Geschmack, den er hinterlassen hatte, zuzog, beschloss er zu verduften, ohne über das Feld Armlehne zu gehen.
Er hatte einen Rückzug von mehr als 2500 Kilometern auf dem Buckel, laut seiner biologischen Uhr waren es zwei Stunden mehr, war schon wieder müde und musste noch in die Reinigung, wenn er morgen was zum Anziehen haben wollte.
Als er durch die Tür trat, machte Barbara ihm ein Zeichen, ohne ihr Telefongespräch zu unterbrechen.
Sie zeigte auf ein Päckchen im Regal.
Das hatte Zeit bis morgen. Er zog die Tür hinter sich zu, hielt inne, lächelte dümmlich, machte kehrt und erkannte den Poststempel.
Der zählte.
Machte es nicht sofort auf und lief, wie vor ein paar Wochen schon mal, mit einer Überraschung unterm Arm durch Paris. Nur weniger besorgt.
Er lief den Boulevard Sébastopol entlang, leichten Schrittes, mit angeknackster Rippe, fröhlich wie ein Gockel, der gerade sein erstes Rendezvous ergattert hat. Er lächelte den Parkscheinautomaten zu und ve-ve-verifizierte die Adresse, während das rote Männchen leuchtete.
(Boulevard, benannt nach – muss man das erwähnen? – dem britisch-französischen Sieg auf der Krim. Aha!)
Betrachtete sie erneut, als er die Straße überquerte. Hatte geahnt, dass ihre Schrift so aussähe. Zierlich und rund. Wie die Motive auf ihrem Kleid. Auch hatte er gewusst, dass sie sich nicht an die Kästchen halten würde. Und hübsche Briefmarken verwendete.
Sie hieß Cherrington.
Kate Cherrington.
Wie albern er war.
Und stolz.
Dass er es in seinem Alter noch war.
Er nutzte diese Heliumspritze, um seine Schränke zu füllen. Ließ einen riesigen Einkaufswagen an der Supermarktkasse zurück und versprach, um zwei Uhr zu Hause zu sein, wenn die Ware angeliefert würde.
Verließ das Geschäft mit einem Besen und einem Eimer voller Reinigungsprodukte, putzte zum ersten Mal seit der Übergabe die Wohnung, schloss den Kühlschrank an, löste die Wasserflaschen aus ihrer Plastikhülle, stellte systematisch Mathildes Getreideflocken, ihre Lieblingsmarmelade, ihre fettarme Milch und ihr mildes Shampoo an ihren Platz, faltete Handtücher auseinander, schraubte Glühbirnen ein und briet sich das erste Steak in der Impasse des Bœufs.
Er schob den Teller zurück, warf die Reste in den Müll und holte sein Geschenk.
Er nahm den Deckel der Weißblechdose ab und erblickte Hunde, Katzen, Hühner, Enten, Pferde, Küken, Ziegen, Lamas, Sterne, Monde, Wolken, Schwalben, Mäuse, Traktoren, Stiefel, Fische, Frösche, Blumen, Bäume, Erdbeeren, Hundehütten,Tauben, Gitarren, Libellen, Körbe, Flaschen und ...
Gut.
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