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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bevor sie in die Schule ging, die Arme hochzuheben, und schickte sie wieder in ihr Zimmer, wenn ihr T-Shirt über den Bauchnabel rutschte.
    Gefolgt waren Wochen, in denen die Stimmung unter den Nullpunkt rutschte, aber er war hart geblieben. Es war das erste Mal gewesen, dass er ihr Widerstand geleistet hatte. Das erste Mal, dass er seine Rolle als alter Knacker ausgefüllt hatte.
    Nicht ihren Bauch. Nein.
    »Der Bauch einer Frau ist das größte Geheimnis der Welt, das Bewegendste, das Schönste, erotisch und sexy, um das Vokabular eurer albernen Zeitschriften zu übernehmen«, schwafelte er unter Laurence’ herablassendem Blick und ... »Nein. Bedeck ihn. Überlass ihn nicht den anderen. Ich will hier nicht einen auf Moralapostel machen und rede auch nicht von Anstand, Mathilde. Ich rede von Liebe. Es wird haufenweise Typen geben, die herauskriegen wollen, welchen Taillenumfang du hast oder wie deine Brüste geformt sind, und damit kann man leben, aber deinen Bauch, den heb dir auf für den Mann, den du liebst, ver-, verstehst du?«
    »Ich glaube, wir haben verstanden«, bemerkte ihre Mutter kurz angebunden, sie wollte lieber über etwas anderes reden. »Geh ins Kloster, mein Töchterchen.« Er hatte sie kopfschüttelnd angeschaut und geschwiegen. Aber am nächsten Tag war er in den Museumsshop des Louvre gegangen und hatte ihr diese Karte geschickt, auf deren Rückseite er geschrieben hatte:
    »Siehst du, nur weil du ihn nicht siehst, ist er so schön.«
    Ihr Gesicht und ihre Klamotten wurden länger, aber sie erwähnte die Karte mit keinem Wort. Er war überzeugt davon, dass sie sie weggeworfen hatte. Weit gefehlt, hier war sie. Zwischen einer Rap-Sängerin im Stringtanga und einer halbnackten Kate Moss.
     
    Setzte seine Studien fort ...
     
    »Dir gefällt Chet Baker?«, fragte er überrascht.
    »Wer?«, grummelte sie.
    »Er da ...«
    »Ich hab keine Ahnung, wer das ist. Ich finde ihn einfach nur schön.«
    Es war ein Schwarzweißfoto. Aus der Zeit, als er jung war und James Dean ähnlich sah. Nur etwas fiebriger. Etwas intelligenter und abgezehrter. Lehnte träge an der Wand und hielt sich an einer Stuhllehne fest, um nicht noch tiefer zu fallen.
    Die Trompete auf den Knien, den Blick ins Leere gerichtet.
     
    Sie hatte recht.
    Einfach. Nur. Schön.
    »Witzig ...«
    »Was denn?«
    Sein Atem hatte sich ihrem Nacken genähert. »Als ich in deinem Alter war. Nein, wir waren etwas älter, hatte ich einen Freund, der ganz verrückt nach ihm war. Verrückt, verrückt, verrückt. Besessen. Der das gleiche weiße T-Shirt trug und dieses Foto in- und auswendig kannte, nehme ich an. Und ausgerechnet ihm ist es zu verdanken, dass ich mir in dieser Nacht auf dem Sofa den Hintern abgefroren habe –«
    »Warum?«
    »Warum ich mir den Hintern abgefroren habe?«
    »Nein. Warum er ihn so sehr gemocht hat.«
    »Weil es Chet Baker war, ganz einfach! Ein großartiger Musiker! Ein Typ, der mit seiner Trompete alle Sprachen und Gefühle der Welt sprach! Und auch mit seiner Stimme. Ich kann dir meine Platten leihen, dann wirst du verstehen, warum du ihn so schön findest.«
    »Wer war dieser Freund?«
    Charles seufzte ein Lächeln. Er würde ihm nicht entkommen. Jedenfalls nicht so bald, er musste eine Entscheidung treffen. »Er hieß Alexis. Und spielte ebenfalls Trompete. Nicht nur. Er spielte alles. Klavier, Mundharmonika, Ukulele. Er war –«»Warum sprichst du von ihm in der Vergangenheit? Ist er tot?«
    Er hatte es kommen sehen.
    »Nein, aber ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Auch nicht, ob er noch Musik macht.«
    »Habt ihr euch zerstritten?«
    »Ja. Und zwar so, dass ich dachte, ihn aus meinem Gedächtnis gestrichen zu haben. Ich dachte, es gebe ihn nicht mehr und –«
    »Und was?«
    »Fehlanzeige. Er ist immer noch da. Und weil ich gestern Abend einen Brief von ihm bekommen habe, wollte ich im Wohnzimmer schlafen.«
    »Was hat er geschrieben?«
    »Willst du es wirklich wissen?«
    »Ja.«
    »Er hat mir mitgeteilt, dass seine Mutter gestorben ist.«
    »Das – das ist ja nett, was?«, knurrte sie.
    »Du sagst es.«
    »He, Charles –«
    »Hey, Mathilde?«
    »Ich muss bis morgen eine hyperlange und superschwere Physikaufgabe lösen ...«
    Sie schnitt eine Grimasse und stand auf. Ihr Rücken ...
    »Das sind ja super Neuigkeiten!«, sagte er erfreut. »Genau das brauche ich jetzt. Eine superschwere Physikaufgabe, zusammen mit Chet Baker und Gerry Mulligan. Die Aussicht auf einen traumhaften Sonntag! Komm, schlaf

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