Alles Glück kommt nie
jetzt wieder. Schrapp noch ein paar Stunden auf der Gitarre, Liebes ...«
Er tastete nach der Türklinke in ihrem Zimmer, als sie nachhakte:
»Warum habt ihr euch zerstritten?«
»Weil – weil er sich für Chet Baker hielt, genau darum. Weil er ihm alles nachmachen wollte. Und ihm alles nachmachen hieß auch, jede Menge Dummheiten machen –«»Wie zum Beispiel?«
»Wie zum Beispiel Drogen nehmen –«
»Und dann?«
»He ho, kleines Mädchen«, brummte er, stemmte die Hände in die Hüften und imitierte das Sandmännchen , »Kinder, liebe Kinder, es hat mir Spaß gemacht! Nun schnell ins Bett und schlaft recht schön, dann will auch ich zur Ruhe gehn, ich wünsch euch gute Nacht.«
Sah sie im bläulichen Licht des Radioweckers lächeln.
Ließ heißes Wasser nachlaufen und tauchte ins Badewasser ein, inklusive Haare und Gedanken, tauchte wieder auf und schloss die Augen.
*
Entgegen allen Erwartungen wurde es ein schöner Spätwintertag.
Ein Tag voller Flaschenzüge und erfüllt vom Prinzip der Trägheit. Ein Tag voller Funny Valentine und How High Is The Moon . Ein Tag, der sich keinen Deut um physikalische Gesetze scherte.
Sein Fuß schlug unter diesem kleinen und hoffnungslos überladenen Schreibtisch den Takt. Ein 20-cm-Lineal in der Hand, tätschelte er ihr im Rhythmus den Kopf, wenn ihre Gedanken in die falsche Richtung gingen.
Für ein paar Stunden vergaß er seine Müdigkeit und seine Akten. Seine Mitarbeiter, seine wandernden Kräne und seine verstrichenen Fristen. Für ein paar Stunden machten sich Kräfte in Bewegung bemerkbar und hoben sich am Ende wieder auf.
Eine Ruhepause. Ein technischer K.o. Eine Blechkur. Eine Transfusion aus Nostalgie und »schwarzer Poesie«, wie es auf einer CD-Hülle hieß.
Die Lautsprecher von Mathildes Computer waren leider nicht so toll, aber die Titel der Stücke erschienen auf dem Bildschirm, und er hatte das Gefühl, alle sprächen ihn direkt an.
Vielmehr sie beide.
In A Sentimental Mood. My Old Flame. These Foolish Things. My Foolish Heart. The Lady Is A Tramp. I’ve Never Been In Love Before. There Will Never Be Another You. If You Gould See Me Now. I Waited For You und ... I May Be Wrong ...
Was für eine beunruhigende Verkürzung, dachte er. Und auch ... Und vielleicht ... Fast so etwas wie eine geeignete Grabrede, oder?
Man musste schon sehr naiv sein, um dermaßen abgenutzte Worte zu übernehmen. So oft gesagt, wiederholt und so gewaltig gestutzt, dass sie auf jeden Dussel dieses Planeten passen würden. Aber egal, er stand dazu. Es gefiel ihm, sich in den Titeln der Musik und den Liedern von früher wiederzufinden. Noch einmal diese Bohnenstange zu sein, die ihr Leben auf die Gefühle anderer beschränkte.
Irgendein Typ blies in eine Trompete, und schon war es passiert. Das hier war Jericho.
Er mochte den Begriff »Tramp« nicht so gern, der war zu zweideutig. Lieber war ihm Vagabundin. Oder Bettlerin, aber der Rest war für ihn okay, und sein foolish heart piesackte Newton.
September Song .
Er machte die Hand auf. Dieses Stück hatten sie zusammen gehört.
Es war so weit weg. Im New Morning, oder? Und wie schön er da noch war ...
Schrecklich schön.
Aber total kaputt. Hager, eingefallen, zahnlos, vom Alkohol zerfressen. Verzog das Gesicht und bewegte sich so vorsichtig, als hätte er gerade Prügel bezogen.
Nach dem Konzert hatten sie sich genau deswegen in die Wolle gekriegt. Alexis konnte vermutlich wieder mal nicht stillsitzen, war in Trance, schaukelte vor und zurück und hämmerte mit geschlossenen Augen auf der Theke herum. Er, der die Musik hörte , der sie sah , der eine Partitur lesen konnte, wie andere über eine Werbeanzeige huschten, der aber nicht so gern Partituren las ... Charles war dagegen ganz deprimiert aus dem Konzert gekommen. Das Gesicht des Typs hatte so viel Schmerz und Erschöpfung ausgestrahlt, dass er ihm nicht zuhören konnte, so sehr hatte es ihn entsetzt, sein Gesicht in aller Ruhe studieren zu können. »Es ist schrecklich, wenn man so viel Talent hat und sich so zurichtet.«
Sein Freund war ihm an die Kehle gegangen. Falscher Text. Es hagelte Beleidigungen auf ihn, der dem anderen den Platz bezahlt hatte. »Das kannst du nicht verstehen«, hatte Alexis schließlich mit boshaftem Grinsen gesagt.
»Nein.«
Charles knöpfte seine Jacke zu. »Das kann ich nicht.« Es war spät. Er musste am Morgen früh raus. Arbeiten. »Du verstehst sowieso gar nichts.«
»Ist schon
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