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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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beerdigen sie die Neuen dort. Wir haben hier ein Familiengrab. Und trotzdem mussten wir richtig kämpfen, weil sie –«
    »Äh, ist es weit?«
    »Sind Sie mit dem Auto da?«
    »Ja.«
    »Dann fahren Sie am besten zurück auf die Nationalstraße nach Leroy-Merlin und ... Wissen Sie, wo das ist?«
    »Äh, nein ...«, antwortete Charles, der seinen Blumenstrauß ein wenig sperrig fand, »aber reden Sie nur weiter, ich finde das schon –«
    »Sonst können Sie sich am Leclerc orientieren.«
    »Ach?«
    »Ja, daran fahren Sie vorbei, dann unter der Eisenbahn durch und kommen als Nächstes zur Deponie, die liegt auf der rechten Seite.«
    Was ist denn das für eine beschissene Wegbeschreibung? Er bedankte sich und zog grübelnd davon.
     
    Er hatte noch nicht den Gurt gelöst, da brach er schon zusammen.
    Der Weg war genauso gewesen, wie sie ihn beschrieben hatte: Nach Leroy-Merlin und dem Leclerc ein Schrottplatz für die Toten und daneben ein Ableger des Straßenbauamts. Darüber die S-Bahn und gedämpfte Großraumflugzeuge.
    Flaschen- und Papiercontainer auf dem Parkplatz, Plastiktüten an allen Büschen, und Wände aus Betonplatten, die den Sprayern der Gegend als Pinkulatorium dienten.
     
    Nein, er schüttelte den Kopf, nein.
     
    Dabei war er nicht zimperlich. Es war sein Job, genau hinzuschauen, wenn Baulöwen Murks gemacht hatten, nein, daran lag es nicht.
    Seine Mutter musste sich geirrt haben. Oder die andere Tussi. Die Tochter des Vermieters, bleib mir weg mit der. Wie sie ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Es war nicht schwer, eine junge Frau einzuschüchtern, die ihren Sohn allein erzog und völlig geschlaucht von der Arbeit kam, wenn die dumme Tussi gerade ihre Rattenfänger zum Kacken im Park ausführte. Ja, doch, gerade fiel es ihm wieder ein. Madame Fourdel. Einer der wenigen Menschen dieser Welt, vor denen sich Anouk ganz klein fühlte.
    Die Miete. Die Miete der alten Fourdel ...
     
    Dieser absurde Parkplatz war die letzte Gemeinheit dieser Halsabschneiderin. Ein böser Streich, ein Irrtum der Klatschbasen, eine falsch gespeicherte Adresse. Anouk hatte mit diesem Ort nichts zu tun.
    Charles hielt lange Zeit die Hand verkrampft auf dem Schlüssel und den Schlüssel im Zündschloss.
    Gut. Einmal schnell alles ablaufen.
    Die Blumen ließ er im Auto.
     
    Die armen Toten ...
    Wie schwer erträglich diese Geschmacksverirrungen sein mussten ...
    Die Marmorplatten, glänzend wie Küchenresopal, Plastikblumen, aufgeschlagene Porzellanbücher, kunstvoll mit feinen Äderchen versehen, scheußliche Fotos in vergilbtem Plexiglas,Fußbälle, drei Asse, täuschend echte Hechte, bescheuerte Ansprachen, saublöde und triefende Trauersprüche. Alles für die Ewigkeit eingraviert.
    Ein goldener Schäferhund.
    Ruhe in Frieden, mein Herrchen, ich wache über dich.
    Ganz so schlimm war es vermutlich nicht, zumindest liebevoller, aber unser Mann hatte beschlossen, sie alle zu hassen. Auf Erden wie im Himmel.
     
    Ein typisch französischer Friedhof, in Quadrate eingeteilt wie eine amerikanische Stadt. Numerierte Alleen, quadratische Totenbetten, Hinweisschilder für die Seele von B23 und die ewige Ruhe von H 175, chronologisch ausgerichtete Reihen, die Kalten vorne, die noch Lauwarmen hinten, zerstoßener Kies, ein Schild für wiederverwertbare Abfälle, ein anderes für den ganzen in China hergestellten Schund – und ständig, ständig der Lärm der verfluchten S-Bahn unmittelbar über dem Totenschlaf.
    Es war der Architekt in ihm, der rebellierte. Es musste doch irgendwelche Auflagen geben, die bei den Toten zu respektieren waren. Ein Minimum wenigstens. Ein bisschen Frieden, ach so, das war nicht vorgesehen?
    Aber nein. Man hatte sich schon zu Lebzeiten einen Dreck für sie interessiert, man hatte sie in baufällige Baracken zusammengepfercht, für die sie den dreifachen Preis zahlen mussten, weil sie sich auf zwanzig Jahre verschuldeten. Warum sollte sich das ändern, wenn sie verreckten? Und wie viel hatte sie dieser für die Ewigkeit angelegte Blick auf den Schrottplatz gekostet?
    Ach, und außerdem war das ihr Problem. Aber seine Süße? Wenn er sie in dieser Schutthalde fand, würde er ...
    Mach schon. Beende deinen Satz. Was würdest du tun, du kleiner Irrer? Würdest du die Erde aufbuddeln, um sie rauszuholen? Würdest du den Staub von ihrem Hemd abklopfen und sie in die Arme schließen?
    Die Fragerei ist zwecklos. Er hört uns sowieso nicht. Ein LKW nimmt die Plastiktüten mit und hängt sie ein Stück weiter

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