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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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vorbei: »Ach, übrigens, ich habe gehört, dass Anouk Le Men in der Nähe von Drancy beerdigt wurde.«
    Es gelang ihm, den Ton zu halten. »Ach so? Ich dachte, sie wäre im Finistère. Und woher weißt du das?«
    »Von der Tochter ihres ehemaligen Vermieters.«
    Er verzichtete auf weitere Fragen.
    »Na, habt ihr’s geschafft? Habt ihr den alten Kirschbaum gefällt?«
    »Es musste ja sein. Wegen der Nachbarn, weißt du ... Rate mal, was uns der Spaß gekostet hat.«
    Gerettet.
    Glaubte er zumindest, aber als er aufstehen wollte, legte sie ihm die Hand aufs Knie: »Warte mal ...«
    Sie beugte sich über den Tisch und hielt ihm einen großen braunen Briefumschlag hin. »Ich habe neulich ein bisschen aufgeräumt und dabei Fotos gefunden, die dir gefallen könnten ...«
    Charles erstarrte.
    »Wie schnell alles vorbeigegangen ist«, flüstert sie, »sieh dir das hier an ... Was wart ihr wonnig, ihr zwei ...«
    Alexis und er hatten einander den Arm um die Schulter gelegt. Zwei fröhliche, Pfeife rauchende Popeyes, die ihren winzigen Bizeps anspannten.
    »Erinnerst du dich? An diesen komischen Vogel, der euch dauernd verkleidet hat –«
    Nein. Er wollte sich nicht erinnern.
    »So«, unterbrach er sie, »ich muss jetzt los –«
    »Du solltest sie mitnehmen –«
    »Nein, nein. Was soll ich damit?«
     
    Er kramte nach seinem Schlüssel, als Henri ihm nachkam. »Hilfe!«, scherzte er, »sag nicht, dass sie dir den Kuchen eingepackt hat!«
     
    Charles sah, wie der Briefumschlag unter dem Daumen seines Vaters zitterte, sah dann das Bündchen seiner Weste, die abgewetzten Knöpfe, das weiße Hemd, die perfekt sitzende Krawatte, die er seit mehr als sechzig Jahren jeden Morgen, den Gott gab, neu knotete, den steifen Kragen, die durchscheinendeHaut, die Furchen mit weißen Härchen, von der Rasierklinge vergessen, und schließlich den Blick.
    Den Blick eines zurückhaltenden Menschen, der sein ganzes Leben mit einer autoritären Frau verbracht, aber nicht alles hingenommen hatte.
    Nein. Nicht alles.
    »Nimm sie mit.«
    Er gehorchte.
    Konnte die Wagentür nicht öffnen, solange sein Vater dort stand.
    »Papa, bitte ...«
    »...«
    »He! Kannst du mal einen Schritt zur Seite machen!« Sie musterten sich.
    »Alles in Ordnung?«
    Der alte Herr, der ihn nicht gehört hatte, setzte zu einem Geständnis an: »Bei mir war es weniger ...«
    Ein Laster fuhr vorbei.
     
    Solange die Straße es zuließ, betrachtete Charles die spiegelverkehrte und kleiner werdende Silhouette am gegenüberliegenden Horizont.
    Was hatte er eben gemurmelt?
    Wir werden es nie erfahren. Sein Sohn hatte vermutlich eine Idee, sie verlor sich aber an der nächsten Ampel in den Seiten seiner Landkarte.
    Drancy.
    Hinter ihm wurde gehupt. Er würgte den Motor ab.

10
    Sein Flieger nach Kanada ging um neunzehn Uhr, und sie war einige Kilometer vom Flughafen entfernt. Er verließ das Büro um die Mittagszeit.
    Das Herz baumelte ihm fröhlich um den Hals , was für eine schöne Formulierung.
    Er fuhr also weg und trug sein Herz fröhlich baumelnd um den Hals.
    Nüchtern, ergriffen, nervös, wie bei einem ersten Rendezvous.
    Lächerlich.
    Und unzutreffend.
    Er ging nicht zum Ball, sondern auf den Friedhof, und sein verkrüppelter kleiner Muskel hing eher in einer Schlinge.
    Denn darin pochte es, und wie. Es pochte, als wäre sie lebendig, als würde sie unter den Eiben auf ihn warten und zunächst mit ihm schimpfen. Na endlich! Du hast ja ganz schön lange gebraucht! Und was hast du mir für schreckliche Blumen mitgebracht! Leg sie hier ab, dann machen wir uns vom Acker Was für eine Idee aber auch, sich auf einem Totenacker mit mir zu verabreden. Bist du nicht mehr ganz dicht?
    Sie übertrieb mal wieder. Er warf einen Blick auf seine Blumen. Sie waren wunderbar ...
     
    Zwangsjackenmäßig, ja.
    He, Charles ...
    Ich weiß, ich weiß. Jetzt lasst mich doch ... Nur noch wenige Kilometer, ihr Quälgeister …
     
    *
     
    Ein Vorort von Paris, ein kleiner Provinzfriedhof. Keine Eiben, nein, sondern ein schmiedeeiserner Zaun, der Heilige Geist in den Fenstern der Gruften, Efeu an den Wänden. Ein Friedhof für Küster, mit einem verrosteten Wasserhahn und Gießkannen aus Zink. Rasch lief er alle Wege ab. Die jüngsten, das heißt die hässlichsten Gräber, stammten aus den achtziger Jahren.
     
    Er teilte einer kleinen älteren Dame, die ihre verstorbenen Angehörigen auf Hochglanz polierte, seine Überraschung mit.
    »Sie verwechseln uns bestimmt mit Mévreuses. Heute

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