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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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gegangen. Und weißt du, was?«
    »Was?«
    »In dieser Nacht habe ich zum ersten Mal seit Jahren, seit sehr, sehr vielen Jahren, richtig gut geschlafen. Ich wusste, dass er wiederkommen würde. Ich wusste, dass er sich um uns kümmern würde und ... Keine Ahnung. Ich habe ihm vertraut. Er hatte genau gesehen, dass meine Glückslinie noch kürzer war als meine Herzlinie. Er hatte mich Schätzchen genannt und seinem Vögelchen den Kopf gestreichelt, und dabei konnte man seine Zahnstummel sehen, er – er würde uns lieben, da war ich mir ganz sicher. Du siehst, ich habe mich ausnahmsweise mal nicht geirrt. Die Jahre mit Nounou waren die schönsten in meinem Leben. Oder wenigstens nicht ganz so hart. Und das große Finale mit Feuerwerk, das zwei Jahre späterkommen sollte, da bin ich ganz sicher, das war er. Er war der Feuerwerker. Dieser kleine Zebulon war meine Revolution und ... Ach, was hat er uns gutgetan.«
    »Hm, entschuldige, dass ich so was frage, aber an diesen Tagen im Krankenhaus, hatte er da die ganze Zeit seinen Vogel in der Tasche?«
    »Lustig, dass du das fragst. Ich habe ihm nämlich kurz danach die gleiche Frage gestellt, er wollte mir aber nicht antworten. Ich habe gemerkt, dass es ihm unangenehm war, und dann nicht weiter nachgebohrt. Erst Jahre später, als ich mich ganz elend fühlte und wieder einmal schwach wurde, hat er mir einen Brief geschickt. Übrigens den einzigen, den er mir je geschrieben hat. Ich hoffe, ich habe ihn noch. Er hat viele nette Dinge geschrieben, Komplimente, wie sie mir kein Mensch je gemacht hat, und ... Ja, eigentlich ein Liebesbrief, wenn ich es recht bedenke, der geendet hat mit den Worten:
    Erinnerst du dich an den Abend im Krankenhaus? Ich wusste, dass ich nie mehr nach Hause zurückkehren würde, darum hatte ich Mistinguett in der Tasche. Um sie freizulassen, bevor ich mich ... Und dann bist du gekommen, und ich bin doch wieder nach Hause zurückgekehrt. «
    Ihre Augen glänzten.
    »Und wann ist er wiedergekommen?«
    »Zwei Tage später. Am Nachmittag. Richtig schick, mit neuer Haarfarbe, einem Strauß Rosen und Schleckmuscheln für Alexis. Wir haben ihm die Wohnung gezeigt, die Schule, die Geschäfte, dein Haus ... Und, ja, das war’s. Die Fortsetzung kennst du.«
    »Ja.«
    Meine Augen glänzten.
    »Der einzige Haken damals war Mado.«
    »Ich erinnere mich. Ich durfte nicht mehr zu euch.«
    »Ja. Aber wie du siehst, hat er sie am Ende ebenfalls um den Finger gewickelt.«
     
    *
     
    In dem Moment habe ich nicht gewagt, ihr zu widersprechen, aber so einfach war es nicht.
    Meine Mutter war nicht gerade ein weißes Täubchen, das die Augen schloss, wenn man sein Gefieder in die richtige Richtung streichelte. Alexis war jederzeit herzlich willkommen, aber mir war der Aufenthalt in der Nummer 20 untersagt.
     
    Ich hörte neue Wörter, sie galten Nounou und klangen nicht sehr höflich. Moral, Sittlichkeit, Gefahr. Wörter, die mir total abwegig vorkamen. Was für eine Gefahr denn? Karies zu bekommen, weil er uns zu viele Bonbons schenkte? Nach Mädchen zu riechen, weil er uns mit Küssen überhäufte? In der Schule zurückzufallen, weil er uns ständig erzählte, wir seien wahre Prinzen und müssten später nicht arbeiten? Aber Mama. Wir haben ihm doch nicht geglaubt. Außerdem gingen seine Vorhersagen immer in die Hose. Er hat uns geschworen, dass wir bei der Schultombola die Karten für das Autorennen von Le Mans gewinnen würden, und in Wirklichkeit haben wir gar nichts gewonnen.
    Nein, wenn sie schließlich nachgab, lag es daran, dass ich ausnahmsweise standhaft geblieben war. Ich hatte zwölf Stunden lang nichts gegessen und neun Tage nicht mit ihr gesprochen! Und außerdem hatte der Mai ’68 sie ins Wanken gebracht. Wenn diese Welt dem Untergang entgegentrieb, dann nur zu, mein Junge, nur zu. Geh Murmeln spielen ...
     
    Ich kam wieder zu euch, weil sie nachgegeben hatte, aber ausgestattet mit strengen Vorschriften und Zeitvorgaben. Mit Warnungen, in denen von Gesten, meinem Körper und seinen Händen die Rede war. Sätze, die ich nicht verstand.
    Heute sehe ich die Dinge natürlich etwas anders. Würde ich ein Kind, wenn ich es hätte, einem dermaßen zwittrigen Babysitter wie Nounou anvertrauen? Ich weiß es nicht. Ich hätte vermutlich auch meine Vorbehalte. Aber nein, wir hatten nichts zu befürchten. Jedenfalls kam es nie auch nur zu dergeringsten beklemmenden Situation. Was Nounou nachts machte, war etwas anderes, aber mit uns war er der sittsamste aller

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