Alles Glück kommt nie
war nur ein Keks. Weißt du, wie man sie heute in diesen Nostalgieläden nennt? Glückskekse. Und außerdem warst du noch ein Kind.
Das ist alles lächerlich, nicht wahr?
Lächerlich.
Ja, und doch ...
Er hatte nicht die Zeit, sich zu rechtfertigen. War schon weggesackt.
3
Ein Fahrer erwartete ihn am Flughafen, mit seinem Namen auf einem Schild.
Ein Zimmer erwartete ihn im Hotel, mit seinem Namen auf einem Fernsehbildschirm.
Auf dem Kopfkissen eine Praline und die Wettervorhersage für den nächsten Tag.
Bewölkt.
Eine weitere Nacht begann, und er war nicht müde. O je, seufzte er, jetzt werde ich schon wieder von der Zeitverschiebung beschissen. Früher hätte ihn das nicht interessiert, aber heute wehrten sich seine alten Knochen. Er fühlte sich – entmutigt. Ging hinunter in die Bar, bestellte einen Bourbon, las die Lokalzeitung und brauchte einen Moment, um zu merken, dass die Flammen im Kamin eine Attrappe waren.
Ebenso der Lederbezug des Sessels. Die Blumen. Die Bilder an der Wand. Die Holztäfelung. Der Stuck an der Decke. Die Patina der Kronleuchter. Die Bücher in der Bibliothek. Der Geruch nach Möbelpolitur. Das Lachen dieser hübschen Frau in der Bar. Die Zuvorkommenheit des Herrn, der sie daran hinderte, vom Hocker zu steigen. Die Musik. Das Kerzenlicht. Und ... Alles, absolut alles war Attrappe. Es war die Disney World der Reichen, und so sehr er sie auch durchschaute, gehörte er doch dazu. Ihm fehlten nur noch die Mickymaus-Ohren.
Er ging hinaus in die Kälte. Lief stundenlang durch die Gegend. Sah nichts als Wohnblocks. Steckte seine Karte in den Schlitz von Zimmer 408. Stellte die Klimaanlage aus. Schaltete den Fernseher ein. Stellte den Ton ab. Stellte das Bild ab. Versuchte, ein Fenster zu öffnen. Fluchte. Gab auf. Wollte wiedergehen und fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben in der Falle.
03:17 legte er sich hin 03:32 und fragte sich 04:10 still
04:14 und leise,
04:31 was er
05:03 hier machte.
Dann duschte er. Bestellte ein Taxi. Und machte sich auf den Weg.
4
Noch nie hatte er so viel Geld für ein Flugticket ausgegeben oder so viel Zeit verloren. Zwei ganze Tag hatte er in den Sand gesetzt. Unwiederbringlich. Verloren. Ohne Akten, ohne Anrufe, ohne fällige Entscheidungen, ohne Verantwortung. Das kam ihm zunächst völlig absurd vor, dann – außerordentlich exotisch.
Er hing am Flughafen von Toronto herum, dann beim Zwischenstopp in Montreal, kaufte zig Zeitungen, ein paar Kleinigkeiten für Mathilde, eine Stange Zigaretten und zwei Krimis, die er auf dem Tresen vergaß.
Es war acht Uhr morgens, als er wieder in seinem Wagen saß. Er rieb sich die Augen, spürte, wie stachlig sein Kinn war, verschränkte die Arme über dem Lenkrad.
Dachte nach.
Wenn er schon das Wesentliche nicht deutlich sah, orientierte er sich wenigstens geographisch in dieser Welt, genoss das Einfache, bedauerte, kein schöneres Auto zu besitzen, sah ein, dass ihm in seiner Situation alles egal war, warf einen fragenden Blick auf seine Karten, kehrte der Hauptstadt den Rücke und zog ohne Pilgerstab los, um die Abtei Royaumont zu besichtigen, mit dem einzigen Ziel, die seit Wochen auf seiner Netzhaut und unter seinen Sohlen angesammelten Greuel zu vergessen.
Und während er sich wieder einmal die Randzonen, Industriegebiete, Wohngegenden, Einkaufszentren, sonstigen Areale und noch ausgefalleneren Bezeichnungen antat, kam ihm wieder jenes surreale Gespräch in den Sinn, das er mit einem Taxifahrer am Tag, als er von ihrem Tod erfuhr, geführthatte. War Gott in seinem Leben? Nein, ganz offensichtlich nicht. Seine Baumeister, die schon. Und seit jeher.
Mehr noch als auf Anouks Bitte angesichts der Scheußlichkeiten aus Beton, die es ihr erleichtert hatten, ihrer Familie endgültig den Rücken zu kehren, führte er seine Berufung auf die Zisterzienser zurück. Genauer gesagt, auf ein Buch, das er als Jugendlicher gelesen hatte. Es kam ihm vor, als wäre es gestern gewesen. Dass er wie besessen in seinem kleinen Vorortzimmer, im Dachgeschoss eines Hauses, das einen Steinwurf von der neuen Ringautobahn entfernt lag, dieses Buch regelrecht verschlungen hatte: Singende Steine von Fernand Pouillon.
Er hing an den Lippen des genialen Mönchs, der Saison für Saison, Entbehrung für Entbehrung, gegen Zweifel und Wundbrand kämpfend, der trockenen Erde dieses Meisterwerk von einer Abtei abgerungen hatte. Der Eindruck war so intensiv gewesen, dass er es sich stets versagt hatte,
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