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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Männer. Ein Engel. Ein Schutzengel, der sich mit Taistoi mon cœur einparfümierte und uns in Frieden Krieg spielen ließ.
     
    Und dann wurde er zum Vorwand. Denn Anouk war es, die meiner Mutter gegen den Strich ging, und auch das kann ich heute verstehen. Die Bestürzung meines Vaters neulich sagt alles.
    Ich durfte zu ihnen gehen und Murmeln spielen, aber es kam die Zeit, wo ich ihren Namen zu Hause nicht mehr erwähnen durfte. Was vorgefallen war, weiß ich nicht. Oder weiß es nur zu genau. Kein Mann wollte mit ihr zusammenleben, aber alle waren schnell bereit, ihr das Gegenteil zu versichern ...
    War sie fröhlich und wurde von ihren Schwindelanfällen verschont, dann löste sie ihre Haare und lief barfuß durch die Gegend, rief sich in Erinnerung, dass ihre Haut noch ganz zart war und dass ... Dann strahlte sie wie eine Sonne. Wo immer sie ging, was immer sie sagte, alle drehten die Köpfe nach ihr um und wollten ihren Anteil haben. Man wollte sie am Arm packen, notfalls mit Gewalt, und man tat ihr auch weh, damit ihre Armbänder eine Sekunde lang aufhörten zu klirren. Nur eine Sekunde lang. Die Zeit einer Grimasse oder eines Blicks. Eines Schweigens, einer Ungezwungenheit, egal was. Egal was. Wirklich. Und nur für einen selbst.
    O ja, sie hatte bestimmt einiges an Lügen zu hören bekommen.
     
    War ich eifersüchtig? Ja.
    Nein.
    Ich hatte gelernt, sie zu erkennen, die Blicke, notgedrungen, und fürchtete sie nicht mehr. Es genügte mir, älter zu werden, worum ich mich nach Kräften bemühte. Tag für Tag. Ich war zuversichtlich.
    Und außerdem, alles, was ich über sie wusste, was sie mir gegeben hatte, was mir gehörte, würden sie, die anderen, niemals kriegen. Für sie verstellte sie ihre Stimme, sprach zu schnell, lachte zu laut, aber bei mir blieb sie ganz ungezwungen.
    Folglich liebte sie mich.
    Wie alt war ich wohl, um so etwas zu sagen? Neun? Zehn?
    Und warum war meine Wahl auf sie gefallen? Weil meine Mutter, weil meine Schwestern, weil meine Lehrerinnen und die Pfadfinderführerinnen. Weil alle anderen Frauen um mich herum mich zur Verzweiflung brachten. Hässlich waren, nichts begriffen, sich nur dafür interessierten, ob ich das Einmaleins auswendig konnte oder mein Unterhemd gewechselt hatte.
    Natürlich.
    Natürlich, denn ich hatte kein anderes Ziel, als groß zu werden, endlich von ihnen befreit.
    Während Anouk ... Weil sie alterslos war oder weil ich der einzige Mensch auf der Welt war, der ihr zuhörte und wusste, wann sie log, sich nie zu mir herabgebeugt hatte, es nicht ertrug, wenn man mich Charlie oder Charlot nannte, sagte, dass ich einen schönen und eleganten Vornamen hätte, der zu mir passte, weil sie mich immer nach meiner Meinung fragte und zugab, dass ich oft recht hatte.
    Und woher nehme ich kleine Rotznase diese Selbstsicherheit?
    Weil sie selbst es mir gesagt hat!
     
    Ich hatte bei ihnen übernachtet, und bevor wir zur Schule mussten, hatte sie uns Pausenbrote in die Ranzen gepackt.
    In der großen Pause waren wir mit unseren Murmelsäckchen und unseren Alupäckchen zu den anderen gegangen.
    »Oh!«, hatte Alexis begeistert gerufen, als er sein Päckchen ausgewickelt hatte, »sprechende Kekse.«
    »Ich trage dich auf meiner Zungenspitze« und »Du bringst mich zum Lachen«, las er laut vor, bevor er sie verputzte.
    Ich wischte meine Hände an der Hose ab.
    »Und du? Was hast du?«
    »Ich?«, sagte ich ein wenig enttäuscht, weil ich feststellen musste, dass ich nur einen hatte.
    »Ja?«
    »Nichts.«
    »Bei dir steht nichts drauf?«
    »Nein, bei mir steht ›Nichts‹.«
    »Das ist ja blöd. Okay. Wer fängt an?«
    »Fang du an«, sagte ich und steckte den Zettel in meine Jacke.
    Wir spielten, und ich verlor viel an diesem Tag. Alle meine Katzenaugen.
    »He, sag mal. Du kriegst ja heute gar nichts hin!«
    Ich lächelte. Dort am Boden später, beim Anstehen, als ich meine Jackentasche berührte, dann unter meinem Pult und anschließend im Bett, nachdem ich mehrmals wieder aufgestanden war, um das Versteck zu wechseln, lächelte ich.
     
    Bis über beide Ohren.
     
    Auch nach fast vierzig Jahren konnte sich Charles nicht erinnern, je eine wirkungsvollere Liebeserklärung erhalten zu haben.
    Der Keks war zerbröselt, und er musste ihn schließlich wegwerfen. Er war groß geworden, weggegangen, zurückgekehrt, und sie hatte gelacht. Und er hatte ihr geglaubt. Er war älter geworden und er war stärker geworden und ... Und sie war tot.
    Und das war’s.
     
    Na na, Balanda, es

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