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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bewegen.
    »Nein.«
    »Schlafstörungen?«
    »Selten.«
    »Nun gut, ich verschreibe Ihnen ein entzündungshemmendes Mittel, aber wenn es in den nächsten Wochen nicht besser wird, machen wir eine CT.«
     
    Charles enthielt sich eines Kommentars. Als er sein Scheckheft herausholte, fragte er sich nur, ob dieser Apparat Lügen erkennen konnte.
    Und Erschöpfung. Und Erinnerungen.
    Freundschaftsverrat, entmannte alte Damen in Pissoirs, Friedhöfe an Eisenbahngleisen, die demütigende Zärtlichkeit einer Frau, der man keine Lust bescheren konnte, zärtliche Worte gegen gute Noten oder diese Tausende Tonnen von Stahlgerüsten irgendwo in den Oblasten von Moskau, die wahrscheinlich niemals etwas stützen mussten.
    Nein, er hatte keine Angstzustände. Sah höchstens alles ganz klar.
     
    Die Stimmung zu Hause war hektisch. Laurence bereitete einen Resteverkauf vor (oder eine neue Modenschau, er hatte nicht genau hingehört), Mathilde packte ihre Koffer. Zwitscherte nächste Woche ab nach Schottland, to improve , und würde sich dann mit ihren Cousins an der baskischen Küste treffen.
    »Und deine Prüfung?«
    »Ich bin dran, ich bin dran«, erwiderte sie und zeichneteArabesken an den Rand ihrer Arbeitshefte. »Ich pauke gerade die Stilfiguren ...«
    »Das sehe ich ... Den Jugendstil, meinst du wohl?«
     
    Sie würden Anfang August nachkommen und eine Woche mit ihr zusammen verbringen, bevor sie sie bei ihrem Vater absetzten. Was danach käme, wusste er nicht. Die Toskana war im Gespräch gewesen, aber Laurence erwähnte sie nicht mehr, und Charles hatte nicht gewagt, Siena mit seinen Zypressen ins Spiel zu bringen.
    Die Vorstellung, sich mit denselben Leuten, die er vor ein paar Wochen während eines nicht enden wollenden Abendessens in einer Mahagonihütte bei seiner Schwägerin kennengelernt hatte, eine Villa zu teilen, begeisterte ihn überhaupt nicht.
    »Na? Wie findest du sie?«, hatte Laurence ihn auf dem Rückweg gefragt.
    »Vorhersagbar.«
    »Natürlich.«
    Dieses Natürlich hatte ziemlich müde geklungen, aber was konnte er sonst sagen?
    Normal?
    Nein. Das konnte er nicht. Es war zu spät, sein Bett war zu weit weg und die Debatte zu ... Nein.
    Vielleicht hätte er besser »vorausschauend« gesagt. Diese Leute hatten viel über Steuereinsparungen geredet. Ja. Vielleicht. Dann wäre die Stille im Auto weniger drückend gewesen.
     
    Charles mochte die Ferien nicht.
     
    Wieder wegfahren, Hemden vom Bügel nehmen, Koffer schließen, auswählen, zählen, ein paar Bücher opfern, Kilometer fressen, in scheußlichen gemieteten Häusern wohnen oder Hotelflure mit den üblichen Frotteehandtüchern vorfinden, dienach Großwäscherei rochen, sich ein paar Tage in der Sonne aalen, ah, endlich sagen, versuchen, es zu glauben, und sich dann langweilen.
    Was er selbst mochte, waren Ausflüge ins Blaue, spontane Unternehmungen, nicht straff durchorganisierte Wochen. Angebliche Termine in der Provinz, um sich weit weg von den Autobahnen zu verirren.
    Die Auberges du Cheval blanc , wo das Talent des Chefkochs für die Geschmacklosigkeit der Dekoration entschädigte. Die Hauptstädte der ganzen Welt. Ihre Bahnhöfe, ihre Märkte, ihre Flüsse, ihre Geschichte und ihre Architektur. Menschenleere Museen zwischen zwei dienstlichen Terminen, Dörfer ohne Partnerstädte, Böschungen, die einem die Sicht versperrten, und Cafés ohne Terrasse. Alles sehen, ohne Tourist zu sein. Nie mehr diese erbärmliche Touristenkleidung tragen.
     
    Das Wort Ferien hatte einen Sinn, als Mathilde klein war und sie zusammen alle Sandburgenwettbewerbe der Welt gewannen. Wie viele Babylons hatte er zwischen den Gezeiten errichtet. Wie viele Taj Mahals für kleine Krebse. Sonnenbrände im Nacken, Kommentare, Muscheln und stumpfe Glasscherben. Wie viele zurückgeschobene Teller, um Zeichnungen auf Papierservietten zu Ende zu bringen, wie viele Kniffe, um die Mama zu betören, ohne die Tochter zu wecken, wie viele träge Frühstücke, wo seine einzige Sorge darin bestand, die beiden zu zeichnen, ohne dass sein Notizbuch zugekrümelt wurde.
    Ja, wie viele Aquarelle. Und wie sich alles unter seiner Hand auf einmal auflöste.
    Und wie weit weg alles war.
     
    *
     
    »Eine Frau Béramiand für Sie am Apparat ...«
    Charles ging seine heutige Post durch. Ihr Entwurf für den Sitz der Borgen&Finker in Lausanne war abgelehnt worden.
    Eine Betondecke stürzte auf ihn herab.
    Zwei Zeilen. Ohne Begründung, ohne Argumente. Nichts, was diesen gnadenlosen Akt

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