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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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gegenüber zu behaupten, sie hätte Urlaub, um dann nicht wiederzukommen. Alle waren schrecklich enttäuscht, dass sie keine Gelegenheit bekommen hatten, ihrer Bewunderung und Zuneigung für sie Ausdruck zu verleihen, da es nun aber mal ihre Entscheidung war ... Dafür hat sie Briefe erhalten. Die ersten hat sie noch gelesen, doch dann, das hat sie mir gegenüber zugegeben, konnte sie nicht mehr. Du hättest das sehen müssen. Es war beeindruckend. Anschließend sind unsere Telefonate seltener geworden, und kürzer. Zum einen, weil sie nicht viel zu berichten hatte, zum anderen hat meine Tochter Zwillinge bekommen, und ich war sehr beschäftigt! Und dann hat sie mir noch eröffnet, dass Alexis und sie wieder zusammengefunden hätten, und da habe ich mir, wohl eher unbewusst, denke ich, gesagt, dass er mich ablösen würde. Dass er jetzt an der Reihe wäre. Du weißt ja, wie es ist mit Leuten, um die man sich große Sorgen gemacht hat. Wenn sich die Situation ein wenig zu bessern scheint, ist man so erleichtert, dass man durchatmen kann. Ich habe es also gemacht wie du. Ein Minimum an Kontakten. Ihren Geburtstag, Glückwunschkarten, Geburtsanzeigen und Postkarten. Die Zeit verging, und nach und nach wurde sie zu einem Souvenir aus meinem früheren Leben. Einem herrlichen Souvenir ...
    Und dann, irgendwann, kam einer meiner Briefe zurück. Ich wollte sie anrufen, aber der Anschluss war gekappt. Gut. Sie war bestimmt zu ihrem Sohn gezogen und hatte vermutlicheinen Haufen Kinder auf dem Schoß. Sie würde irgendwann wieder anrufen, und wir würden uns das alberne Gewäsch närrischer Omis erzählen.
    Sie hat nie mehr angerufen. Tja. So ist das Leben. Und dann, vor drei Jahren, glaube ich, saß ich im Zug, und plötzlich sah ich eine ältere Dame ganz hinten im Wagen, die sich sehr gerade hielt. Ich weiß noch, mein erster Reflex war: Wenn ich so alt bin, wäre ich gern wie sie. Du weißt schon, wie man sagt: ›Der Alte hat sich gut gehalten.‹ Eine weiße Haarpracht, keine Schminke, eine Haut wie eine Nonne, faltig, aber noch frisch, schlanke Taille und ... Sie wurde leicht in meine Richtung gedrängt, als jemand vorbeiwollte: Schock.
    Sie hat mich ebenfalls erkannt und mir zugelächelt, freundlich, als hätten wir uns gestern noch gesehen. Ich habe vorgeschlagen, dass wir an der nächsten Station aussteigen und zusammen einen Kaffee trinken. Ich merkte gleich, dass sie auf das Angebot nicht richtig ansprang, aber gut. Wenn es mir Freude machte ...
    Und sie, die früher so gesprächig war, deren Mund nie stillgestanden hatte, ich musste ihr die Würmer aus der Nase ziehen, damit sie von sich erzählte. Ja, die Miete war zu hoch geworden, und sie war fortgezogen. Ja, es war keine sehr schöne Siedlung, aber es gab dort eine Solidarität, die sie woanders so noch nicht erlebt hatte. Sie arbeitete morgens in einer Ambulanz, die restliche Zeit war sie ehrenamtlich tätig. Die Leute kamen zu ihr, oder sie ging zu ihnen nach Hause. Sie brauchte eigentlich kein Geld. In der Siedlung herrschte ein reger Tauschhandel: ein Verband gegen einen Teller Couscous, eine Spritze gegen kleinere Klempnerarbeiten. Sie wirkte seltsam ruhig, aber nicht unglücklich. Sie hätte ihren Beruf noch nie so sinnvoll ausgeübt, sagte sie. Sie hatte das Gefühl, noch gebraucht zu werden, regte sich auf, wenn man sie ›Doktor‹ nannte, und ließ in der Ambulanz heimlich etwas Arznei mitgehen. Medikamente, die fast abgelaufen waren. Ja, sie lebte allein und – und du?, fragte sie. Und du?
    Ich habe ihr also von meiner kleinen Welt erzählt, habe aber irgendwann gemerkt, dass sie nicht mehr zuhörte. Sie musste weiter. Sie wurde erwartet.
    Und Alexis? Tja, als sein Name fiel, hat sich ihr Gesicht ein wenig verfinstert. Er wohne weit weg, und sie spüre deutlich, dass ihre Schwiegertochter sie nicht sehr mochte. Sie habe immer das Gefühl zu stören. Aber okay, er hatte zwei prächtige Kinder, ein größeres Mädchen und einen kleineren Jungen von drei Jahren, und das war das Allerwichtigste. Es ging ihnen gut.
    Wir waren wieder auf dem Bahnsteig angelangt, als ich sie nach dir fragte. Und wie geht’s eigentlich deinem Charles? Sie hat gelächelt. Ja, natürlich. Du würdest sehr viel arbeiten, du würdest durch die ganze Welt reisen, hättest ein großes Büro an der Gare du Nord, würdest mit einer tollen Frau zusammenleben. Einer echten Pariserin. Der elegantesten Frau, die man sich denken könne. Und ihr hättet zusammen eine große Tochter. Die

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