Alles Gold Der Erde
zu verstehen.« Sie sprach leise und geradezu ehrfürchtig. »Jetzt begreife ich erst, wie schlau Norman war.«
Sie betrachtete ihn mit leuchtenden Augen. Er gab ihr Lächeln zurück. Zufrieden mit sich selbst, akzeptierte er ihre Bewunderung. Sie schien ihm nicht mehr als recht und billig.
»Ganz recht«, bestätigte Rosabel lachend. »Denn jetzt war an diesem Isthmus weder ein Diamantenhalsband noch ein Sack voll Geld eine Kostbarkeit. Das wertvollste war ein Ticket nach San Francisco. Die Leute waren bereit, jeden Preis zu zahlen. Wirklich: jeden. Und Norman hatte sich rechtzeitig einen Vorrat an Tickets beschafft.«
»Hattet ihr denn keine Angst, jemand würde euch umbringen, um einen Fahrschein in die Hand zu bekommen?« warf Archwood ein.
»Aber natürlich«, versicherte Norman. »Jeder, der ein Ticket oder mehrere besaß, fürchtete einen Mordanschlag. Deswegen taten wir uns zusammen.«
Einige andere Spieler waren seinem Beispiel gefolgt und hatten Tickets gekauft. Norman und ein paar alte Freunde aus New Orleans bildeten eine Art Club. Aus Sicherheitsgründen kamen vier in Norman und Rosabels Zimmer; andere richteten sich im Hof des Hauses ein. Sie waren allesamt bewaffnet, und zwei wachten, während die übrigen schliefen. Die Familie, der das Haus gehörte, konnte nichts gegen sie unternehmen. Zu jener Zeit waren die Panamesen nicht mehr verstört: Jetzt waren sie nahezu abgestumpft. Nie hätten sie gedacht, daß es auf der Welt solche Gestalten gibt, wie sie nun Panama überfluteten: Menschen, die derart gewalttätig waren, einen so fürchterlichen Lärm veranstalteten und fest entschlossen waren, ihren Willen durchzusetzen. Die Panamesen sehnten sich nach den guten alten Zeiten zurück und seufzten tief auf wenn die Yankees sagten: »Diese guten alten Zeiten sind ein für allemal vorüber.«
Der Spielclub machte phantastische Geschäfte. Die Männer legten ihr Geld zusammen und kauften jedes verfügbare Ticket. Oft zahlten sie dafür den zwei- oder dreifachen Preis. Einige dieser Tickets verlosten sie, andere verkauften sie für ungeheuerliche Summen. Es gab Leute, die mit ihrem letzten Geld ein Ticket erstanden und mit jeder Unbequemlichkeit vorliebnahmen, durften sie nur an Bord.
Und endlich, am 1. Februar 1849, dampfte die California an der Reede vor Panama davon. Sie war mit so vielen Menschen beladen, daß kaum einer auf seinen Füßen stehen konnte. Zurück blieben sechstausend Leute, die auch nach San Francisco wollten.
Die Fahrt dauerte vier Wochen. Nur selten wohl hat ein Schiff eine so schauderhafte Fahrt unternommen. Das Essen war knapp, das Wasser rationiert: Es wurde in Tassen ausgeteilt. Die Passagiere waren zusammengepfercht wie Bienen in ihrem Korb. Sie fühlten sich so erbärmlich, daß jeder jeden haßte. Sie knurrten und krakeelten den ganzen Tag.
»Wir konnten uns nicht rühren, ohne gegen einen andern zu stoßen«, erzählte Rosabel. »Und wenn wir zu schlafen versuchten, stolperten welche über uns. Ich dachte, wenn ich mich bloß einmal aus diesem Menschenknäuel befreien und ein bißchen herumlaufen könnte …«
»Hat das Schiff denn nirgendwo angelegt, um frisches Wasser an Bord zu nehmen?« erkundigte sich Marny.
»Doch«, antwortete Rosabel. »In Mazatlan und dann wieder in Monterey. Die Offiziere gingen an Land, aber die meisten von uns hatten Angst. Wir fürchteten, man würde uns auf der Straße zusammenschlagen und unsere Tickets klauen. Deshalb blieben wir an Bord und nahmen alle Strapazen auf uns.«
»Aber jetzt seid ihr ja da«, rief Marny, »und ihr könnt sofort zu mir in den Calico-Palast kommen.«
Normans kluge schwarze Augen suchten die begierigen grünen Augen Marnys, und er begann zu lachen. Mit einem Blick auf die andern sagte er dann:
»Sie hat sich kein bißchen verändert. Wenn sie etwas tun will, dann will sie es augenblicklich tun. Was hast du früher immer gesagt, Marny? Vivimus …«
Auch Marny lachte nun. Sie stand auf und griff nach ihrem Hut »Dum vivimus vivamos«, zitierte sie. »Was in schlichtem amerikanischem Englisch bedeutet: Wir leben nicht ewig. Also laßt uns an die Arbeit gehen.«
39
Norman ging an die Arbeit. Er war ein unternehmungslustiger Mann, und außerdem gab es nichts, was er sonst hätte anstellen können.
Nachdem er sich ein wenig umgesehen hatte, erklärte Norman offen: »Diese Stadt gefällt mir nicht, und von Marnys Calico-Palast halte ich nicht viel.« Er hatte sein Leben bisher in Städten unter
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