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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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verdient.»Voller Zorn sah ich auf die Uhr, aber sie zeigte noch immer auf sieben, sie war stehengeblieben. Es war ein schlimmes Vorzeichen, das meinen Missmut noch steigerte.
    Eine andere Vermutung beunruhigte mich: Vielleicht war Johannes ertrunken. Und das Maultier war am Ufer geblieben, verwundert über das, was sich so rasch vor seinen Augen abgespielt hatte; es war unfähig, dessen Sinn zu erfassen, und unfähig, dem armen Alten zu helfen.
    Ich sprang auf und nahm ein dickes brennendes Scheit aus dem Feuer. Damit leuchtete ich mir (ich schwenkte es hin und her, damit es nicht ausging) und wagte mich von neuem auf den Pfad; dabei rief ich, um mir ein wenig Mut zu machen. Die Schatten waren erschreckend gewachsen, und nur mit Mühe fand ich den Weg. Ich rief den Namen des Alten, nicht etwa, weil ich auf eine Antwort hoffte, sondern um die Tiere zu erschrecken, die gewiss um diese Zeit an den Fluss zu gehen pflegten, um ihren Durst zu stillen. Der Pfad führte steil und unwegsam ins Dunkle hinunter. Das brennende Scheit erhellte nur wenige Schritte des Weges vor mir, hinderte mich jedoch
daran, das Tal und den Wasserlauf zu sehen. Als ich meinte, ich sei nun schon ein gutes Stück den Pfad hinabgestiegen, blieb ich stehen; ich sagte mir, dass es nutzlos sei weiterzugehen, Johannes konnte nicht ertrunken und das Maultier nicht am Ufer geblieben sein. Sonst müsste ich es schreien hören. Dort unten war niemand; ich vernahm nicht das geringste Geräusch, außer dem des Wassers, das gegen die Äste strömte.
    Wenn auch das Maultier vom Krokodil verschlungen worden wäre? Ich musste mich vergewissern; ich begann wieder hinabzusteigen, und nach einer Weile merkte ich, dass ich am Ufer angelangt war, obwohl ich nichts sah. Nur das Rauschen des Wassers, das sich jetzt lauter anhörte, sagte mir, dass ich am Ufer stand. Ich schwenkte das Holzscheit über meinem Kopf, sah aber nichts, obschon ich in dieser Finsternis den Wasserlauf ahnte. Dann hielt ich das brennende Scheit nach unten und entdeckte die Hufspuren des Maultiers, aber kein Zeichen eines Kampfes und auch keine Spur von Blut. Auf dem Sand waren ein paar Streifen zu sehen, wie von einer Egge gezogen, ganz regelmäßig, nicht durcheinander. Kein Zeichen von Kampf. Und ich freute mich darüber, allerdings nur kurz, denn es bedeutete, dass Johannes auf dem Hochland war.
    «Johannes», rief ich noch einmal, doch nur das
Rauschen des Flusses gab Antwort. Nun lief ich den Pfad wieder zurück und kletterte etwas zu eilig hinauf; nach ein paar hundert Schritten stieß ich gegen den Blechkanister. Er war leer und beinahe versteckt unter einem Busch. Also war Johannes bis hierher gekommen. Ich bemerkte, dass der Weg sich teilte, und ich ging ein paar Schritte auf dem unbekannten Pfad weiter, wobei ich noch immer den Namen des Alten rief. Der Pfad mündete bald auf einer Lichtung, die sehr viel kleiner war als die des Dorfes. Das brennende Scheit hin- und herschwenkend, sah ich, dass die Lichtung am Ende von einer kreisförmigen Hütte abgeschlossen wurde; sie war verputzt und mit Stroh bedeckt. Die Hütte war sehr gut gebaut, lag jedoch in der vollkommensten Abgeschiedenheit. Es war keine Tür da, und ich wagte nicht hineinzugehen. Eine Zeitlang rief ich noch nach Johannes, dann ging ich den ganzen Weg zurück bis zur Lichtung des Dorfes, aber als ich dort ankam, war das Scheit erloschen und das Feuer auch. Nicht einmal mehr Glut war übriggeblieben, und ich musste alles wieder von vorne anfangen. In meinem Innern verfluchte ich den Alten, der verschwunden war, ohne mir etwas zu sagen; er war dem zuvorgekommen, was eigentlich ich mir ausgedacht hatte: mich im Morgengrauen davonzumachen, ohne mich von ihm zu verabschieden.

    «Jetzt versuch zu schlafen», meinte ich. Überflüssig zu sagen, dass es mir nicht gelang; ich lag wach und horchte auf jedes Geräusch, bereit, auf die Schatten zu schießen, auf alle Schatten. Vor meinen Augen lag der Grabhügel, ich musste ihn anschauen, denn niemals würde ich wagen, ihm den Rücken zu kehren. Ich fühlte mich derart wehrlos, dass ich in die Hütte eintrat, doch sogleich ging ich noch beunruhigter wieder hinaus; ich sagte mir nämlich, dass ich es letzten Endes vorzöge zu sehen, ich wollte sehen. Und dabei fiel mir die Neugier ein, welche die Soldaten in der Schlacht tötet, wenn sie aus Angst den Kopf heben; denn alle wollen sehen, den Feind wenigstens sehen, ihn nicht dort vor sich wissen, ohne ihn sehen zu können.
    Noch

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