Alles hat seine Zeit
schon alles zu spät war. Vielleicht wurde dort in der Offiziersmesse mein Name nicht einmal im Zorn erwähnt, sondern mit Überraschung und Neugier. Andere Offiziere warteten wohl auf meine Rückkehr, damit sie nun ihrerseits um einen Urlaub bitten durften.
Der Leutnant hatte sich noch einmal aufs Bett gelegt und las sein nicht enden wollendes Buch.«Ich gehe», sagte ich zu ihm.
«Wohin?»
«Ins Lager. Ich geh zurück.»Er begann wieder zu lesen und blickte gar nicht auf, nicht einmal als er sah, dass ich tatsächlich den Tornister packte.
«Vielleicht sehen wir uns wieder», sagte ich, sobald ich fertig war.
«Wer weiß?»Und er tat, als sehe er auf die Buchseite; aber er war wirklich wütend. Er spürte, dass meine Flucht auch seinen Widerstand zunichtemachte, auch er würde wieder seinen Tornister packen und fortgehen müssen. Doch wie ich mich in den vorangegangenen Tagen bei dem Gedanken getröstet hatte, gemeinsam mit ihm zurückzukehren, wenigstens bis zu der kleinen Stadt, in der wir uns begegnet waren, spürte ich
nun in diesem Augenblick, dass ich allein gehen musste. Wusste ich doch zu genau, wie bestimmte Unternehmen enden: Man beschließt zu gehen, ja man geht sogar, aber bei der ersten Rast kehrt man wieder um, wie von einer Last befreit und fest entschlossen, Torheiten zu begehen und über die Folgen zu lachen.
Ich war gerade im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als der Leutnant mich rief.«Du lässt deine Uhr liegen», sagte er.
Ich ging zum Nachttisch und nahm sie. Während ich sie mir ums Handgelenk band (jetzt machte ich mir Vorwürfe, dass ich keine neue gekauft hatte, aber zu spät, die Läden waren an diesem Tag geschlossen), fügte der Leutnant hinzu:«Das Riemchen ist schmutzig. Tu ein neues dran, und gut’ Nacht.»
«Werd ich machen», sagte ich und ging grollend hinaus, ohne etwas hinzuzufügen. Jetzt war ich froh über meinen Entschluss.
Der Asphalt der Straßen, die Bars verschwanden, und je weiter ich die Merkmale der Zivilisation hinter mir ließ, desto heftiger überkam mich die Schwermut und die Beunruhigung darüber, was mich im Lager erwarten würde, wo ich meine allzu lange Abwesenheit rechtfertigen musste.
Der Lastwagen hielt beim Etappenkommando,
das ich ja schon kannte, und der Carabiniere sagte zum Fahrer, er solle jemanden einsteigen lassen. Er rief etwas zum Schilderhaus hinüber und lächelte uns dabei zu; hinter dem Schilderhaus tauchte der alte Eingeborene auf, und dann der kleine Junge, derselbe, den ich im Wald dabei beobachtet hatte, wie er unermüdlich und ausgelassen den Tanz seines jungen Freundes bewunderte. Als wir abfuhren, sah ich durch das kleine Fenster der Kabine, dass der Alte sich gesetzt hatte und mir den Rücken kehrte, während das Kind stehen geblieben war und vor Freude über diese Fahrt schrie.
Der Alte wandte mir den Rücken zu, und ich sah, dass er krumm und ausgemergelt war. Zwischen seinen langen Händen hielt er den Stock, und mit dem Finger rieb er zerstreut darauf hin und her und hörte nicht auf das, was der kleine Junge ihm dann und wann zurief. Er blickte starr vor sich hin, und vom Rütteln des Fahrzeugs wackelte sein Kopf.
Der Abend brach herein, und nach ein paar Kilometern machte der Lastwagen einen Halt, und ich benutzte die Gelegenheit, um auszusteigen.«Ich fahre nicht weiter», sagte ich zu dem Soldaten. Ich blieb auf diesem Hügel stehen, von dem aus man das Hochland beherrschte. Im Hintergrund sah ich die Berge meiner Gefangenschaft
sich klar abzeichnen, nur unendlich klein und schwach: Auf jener Seite also war der Fluss.
Als der Lastwagen abgefahren war, blieb ich allein; ich wusste nicht, was ich tun sollte, bereute aber meinen plötzlichen Entschluss nicht. Ich dachte daran, nach A. zurückzukehren. Dieses Städtchen mit seinem Etappenkommando, den Mädchen mit dem Grammophon und dem Platz, über den zu dieser Stunde die Frauen geruhsam zum Brunnen spazierten, konnte mich besänftigen. Ich musste wieder zu den Mädchen mit dem Grammophon gehen und durfte mich nie wieder auf Wege begeben, die ich hasste und die mir unheilvoll erschienen. Am nächsten Tag würde ich dann nach Asmara zurückkehren. Zum Teufel mit den Folgen!
Eingeborene, unterwegs zum Städtchen, gingen vorüber und grüßten mich; sie blieben einige Schritte von mir entfernt stehen und warteten, dass ich sie bemerkte und sie weitergehen ließ. Sie schritten düster und vertrauensvoll daher und wunderten sich vielleicht, einen Offizier allein in
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