Alles hat seine Zeit
meinen Armen wieder ein. Ich kleidete mich aus und betrachtete sie lange; ich fühlte, wie sich mir die Kehle zuschnürte, doch ich war nicht imstande zu schluchzen. Ich lag auf dem Feldbett, halbnackt, an die Stelle des Schmerzes war eine Ruhe getreten, die noch hoffnungsloser war. Ich war allein, ich würde viele Jahre allein bleiben, bis zum Ende.
Und meine Gedanken kehrten mit peinigendem Schmerz zu Mariam zurück. Ich erinnerte mich an ihren vollendeten Körper, der so hell war, von jenem dickflüssigen Blut belebt.«Ist es möglich?», sagte ich. Doch, auch die beiden Mädchen sind schön. Ich versuchte mich zu erinnern, und immer stärker überkam mich die Trostlosigkeit. Ich entsann mich an den Kampf, den Mariam ausgefochten hatte, einen höflichen Kampf, an den sie selbst nicht geglaubt hatte, an ihre
plötzliche Ergebung, die Wildheit ihres Körpers, der bereits wusste, dass er allein war, und der das von mir erbeten hatte, was er nie mehr bekommen würde. Und dann diese Hände, die mich fest umschlossen hielten und mir gewiss vom Entsetzen ihrer Einsamkeit sprechen wollten, von der Versuchung, auch mich mit hineinzuziehen. Und dann fiel mir ein, dass sie sich geweigert hatte, mich zur Brücke zu begleiten, und wollte, dass ich im Gehölz schliefe, fern von jedem, der mich hätte warnen können. Und schließlich dieses weiße Tuch.
Und ich hatte es ihr übers Gesicht gelegt, damit sie nicht sehe, dass ich sie töten wollte. Ich hatte mir ihr infiziertes Gewand um die verletzte Hand gewickelt, um den Rückstoß des Revolvers zu dämpfen. Ich hatte Gewissensbisse gehabt.«Ach, Mariam, du hast gesiegt», sagte ich,«ich habe dich von einer Last befreit, und du hast sie mir auf die Schultern geladen. Der Scherz ist so sehr gelungen, dass es sich nicht lohnt, zornig zu werden. Voll und ganz muss ich ihn hinnehmen.»
Dann sprang ich mit einem Mal auf die Füße, blickte verstört auf die Gegenstände im Zelt, auf die lächelnde Fotografie von«ihr»; und als ich das Lachen der Soldaten hörte, packte mich die Verzweiflung, ich musste mein Schreien im Kissen ersticken, damit niemand es höre. Ich biss in das
Kissen hinein und blieb bäuchlings auf dem Feldbett liegen.
Ich nahm die Pistole und tat einen Schuss in den Lauf.«Ich würde mich erschießen», hatte der Leutnant gesagt. Es war der einzige Ratschlag, den er mir geben konnte, ja, er hatte ihn mir bereits gegeben, und jetzt schätzte ich die zwingende Grausamkeit seiner Worte, das Unbehagen jenes Gesprächs und den Rat, der Hoffnung zu misstrauen. Er hatte verstanden. Denn hatte ich etwa nicht gezittert beim Anblick jener Hände?
Ich nahm die Pistole bald in die eine, bald in die andere Hand, man brauchte nur genau zu zielen, leicht auf den Abzug zu drücken; aber die Finger weigerten sich, der Lauf blieb gegen meine Brust gerichtet, bereit, aber auch gleichgültig.«Und doch», sagte ich,«du musst einen Menschen erschießen, der sich anschickt zu sterben, der bald sterben wird, der schon tot ist. Was sind das für Halbheiten?»Aber mein Lachen ging in Schluchzen über, und ich dachte daran, dass ich«ihr»schreiben müsste, wenigstens schreiben. Jedes Mal zerriss ich das Blatt, die Worte kamen mir nicht. Ich musste ihr eigentlich gar nichts sagen, so würde sie auch nicht nachträglich ein Gefühl von Abscheu gegen mich empfinden.
Es müsste ein Unglücksfall sein: Es müsste geschehen, während ich die Pistole reinigte. Nun
holte ich aus der Kiste ein Fläschchen Petroleum und einen Lappen und nahm das Magazin heraus, ließ aber die Patrone im Lauf. Damit wäre meine Unvorsichtigkeit deutlich erwiesen. Alles war in Ordnung. Aber waren nicht noch viele Dinge zu tun? Ihr wenigstens ein letztes Mal schreiben, einen Brief wie alle anderen? Ich würde ihr von der baldigen Heimkehr schreiben oder von der Verlegung, von der man meinte, dass sie unmittelbar bevorstehe, ich würde ihr von den Paketen schreiben, die ich erhalten hatte, und sie um weitere Bücher bitten. Das konnte ich tun.
Ich schrieb den Brief; oft hielt ich inne, weil mir der Atem stockte, aber es gelang mir nicht, zu weinen.
Als ich den Brief beendet und durchgelesen und in den Umschlag gesteckt hatte, fiel mir ein, dass er von meinen Händen berührt worden war. Nein, ich durfte ihn nicht abschicken. Und die anderen, all die anderen? Es gab keinen triftigen Grund, mit dem Briefeschreiben fortzufahren.
Ich verbrannte den Brief und nahm wieder die Pistole zur Hand, doch ich spielte mit
Weitere Kostenlose Bücher