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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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ich in seine Zeitungen schauen dürfe, es sei Monate her, seit ich eine Zeitung zu sehen bekommen hätte. Wenn ich las, würde ich wenigstens mein Hierbleiben rechtfertigen können. Ich blätterte die erste Zeitung durch, die mir in die Hände kam, es war ein Witzblatt. Dann sagte ich, ich fände es außerordentlich geschmacklos, den Feind so zu beleidigen.
    Einen Augenblick später sah ich, dass der Doktor mich durch seine getönten Brillengläser forschend anblickte. Er verzog die Lippen, hielt den Atem an, und seine Augen, die unversehens lebhaft geworden waren, forschten mich aus von Kopf bis Fuß. Der kleine Kopf auf seinem riesigen Körper schien plötzlich wie erleuchtet zu sein. Vielleicht wollte er mich fortjagen. Ich war im Begriff aufzustehen, als der Doktor mit einem Mal alle Luft ausstieß und mit berechneter Langsamkeit sagte:«Ja, wirklich äußerst geschmacklos. »
    Er hatte geantwortet, aber jetzt tauchte er wieder in die Lektüre seiner Zeitung ein, wie das Nilpferd in seine Brühe eintaucht, nachdem es
die Gabe des Besuchers genommen hat. Prompt rief ich, dass sie letzten Endes ja nur ihr Land verteidigt hätten. Er nickte zustimmend. Hinter den Brillengläsern sah ich seine Augen schon wieder halb geschlossen vor Verdruss über diese Anstrengung; eine leichte Grimasse verzerrte seinen Mund, er blies noch einmal die Luft aus und sagte:«Eine Frage des Stils.»
    «Bestimmt», sagte ich lebhaft.
    Und als ich ihn seufzen hörte, fügte ich hinzu, ich wäre glücklich, wenn er über dieses Thema sprechen würde. Er strich sich mit der Hand über die Stirn und redete, indem er die Worte dehnte, über sie nachdachte und sie bisweilen herausrief. Ich vergaß sogar den Grund meines Besuches, und als er mich fragte, was ich«zu Hause»machte, spürte ich in seiner Stimme einen ermutigenden Anklang an Höflichkeit. Ich erwiderte, dass ich nichts täte. Doch sogleich fiel mir ein, dass ich die Gelegenheit beim Schopf packen musste, und fügte hinzu, ich hätte die Absicht, wenn ich wieder in Italien sei, mit dem Schreiben anzufangen. Ich wolle von dieser Gegend und von dieser Erfahrung schreiben.«Ich bin sogar schon dabei», sagte ich,«ich schreibe gerade…»
    Er hörte mir nicht mehr zu. Er war abgelenkt, und sein Kopf schien wieder kleiner geworden oder nur in den Hals eingesunken zu sein. Mit
lauterer, bereits ungeduldiger Stimme wiederholte ich:«Ich schreibe sogar eine lange Erzählung. »Und ich deutete die Handlung an: Ein Ingenieur kommt nach hier unten und wird krank. Man hatte ihm dieses Land als eine Quelle von Reichtümern beschrieben, und er findet hier nur den Tod.
    Er sagte höflich, dies sei ein schönes Thema. Ermutigt fing ich wieder an:«Ich dachte, Sie könnten mir einen Rat geben, welche Krankheit der Ingenieur haben könnte. Eine Tropenkrankheit. »Hier schwieg ich, ich musste tief einatmen, dann sagte ich:«Vielleicht Aussatz?»
    Der Doktor verzog die Lippen.«Ja», sagte er. Er schien nicht überzeugt. Ich fühlte mein Herz klopfen und hoffte, dass der Doktor die dumpfen Schläge nicht so klar und deutlich wahrnehme wie ich. Ich fragte ihn dann, ob er mir ein Buch über dieses Thema leihen könne.
    «Ich glaube, ich habe etwas», aber er rührte sich nicht. Er blieb sitzen und beobachtete mich, und noch einmal spähte er zur Straße hin, als überlegte er sich eine unmögliche Flucht. Vielleicht war er nie aus diesem Liegestuhl aufgestanden. Er hörte mir mit einem Ohr zu, ganz entspannt auf dem Leinenstoff ausgestreckt. Ich dachte, der Liegestuhl würde nachgeben.«Ich stelle mir vor», sagte ich,«dass mein Ingenieur sich ansteckt, als er im
Bett eines Eingeborenen schläft. Kann so etwas vorkommen?»
    Er sprach kurz von Erblichkeit und Ansteckung. Alle vermuteten Ansteckung. Mit einem kindlichen Lächeln, das seine Korpulenz betonte, fügte er hinzu:«Man wird aussätzig, so wie man ein Tyrann wird: durch Vererbung oder Ansteckung. »
    Ich brachte es fertig zu lachen.«Also genügt es, dass mein Ingenieur eine Nacht im Haus eines Eingeborenen schläft?»Ich sagte es mit einer so ruhigen Stimme, dass ich mich selbst darüber wunderte. Darauf entgegnete er wieder zerstreut, dass er es mir erst sagen könne, wenn er den Eingeborenen untersuche. Und mit leicht zitternder Stimme fügte er hinzu:«Oder Ihren Ingenieur. »
    Jetzt sah er mich mit anderen Augen an, es lag etwas in seinem Blick, das mich beunruhigte. Vielleicht Ironie. Weshalb war dieses Glucksen in seiner Stimme gewesen?

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