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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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Ob er wirklich an die Geschichte vom Ingenieur glaubte? Ich war einen Augenblick unsicher. Nur Mut, er war so sanft wieder in seinem Liegestuhl versunken! Er verlangte nichts von Afrika, außer in Frieden gelassen zu werden.
    Schließlich sagte er, wenn ich das Buch haben wolle, würde er es mir holen. Schwerfällig ging er
in die Baracke und kam bald darauf wieder heraus, in der Hand ein dünnes Büchlein, aber statt es mir zu geben, setzte er sich hin und fing an, darin zu blättern; ein langes Schweigen folgte darauf. Jetzt warf ich mir meinen Leichtsinn vor. Langsam nahm ich vom Uniformrock das Divisionszeichen ab. Er merkte nichts, er las, er hatte mich sogar vergessen.«Ihr Ingenieur», sagte er plötzlich,«hat im Haus eines mit Aussatz behafteten Eingeborenen geschlafen?»
    Ich fuhr auf.«Ja», erwiderte ich schlagfertig wie ein Zeuge.
    «Hat er im Bett des Kranken geschlafen?»
    (Warum sprach er so, als sei es tatsächlich geschehen? Es handelte sich doch um eine Fiktion, um eine Erzählung.) Ich nickte.
    «Es kommt mir naiv vor, einen Ingenieur im Bett eines Abessiniers schlafen zu lassen.»
    Ich machte mir immer mehr Vorwürfe, dass ich diesen Vorwand gewählt hatte. Ich schwieg und wartete, dass er sich entschließe, mir das Buch auszuhändigen. Doch er beharrte darauf:«Haben Sie je ein abessinisches Bett gesehen?»
    Da ich ihm geduldig antwortete, dass ich mehrere gesehen hätte, fragte er, ob ich etwa der Meinung sei, es gäbe auf der Welt einen Ingenieur, der bereit wäre, darin zu schlafen.
    Vielleicht wollte er nur eine realistische Kritik
anbringen.«Es ist eine literarische Hypothese», sagte ich. Er pflichtete mir bei, aber da man nun einmal im Bereich der Hypothesen sei, könne man ebenso gut den Ingenieur im Haus nicht eines, sondern einer Eingeborenen schlafen lassen. Ich wies ihn darauf hin, dass dies etwas abgegriffen erscheinen könnte. Er lächelte und sagte, dass es«zumindest»am plausibelsten sei.«Ja, am plausibelsten», wiederholte er.
    Ich beharrte auf dem Thema von einem Ingenieur, der in ein gelobtes Land geht und dort nur den Tod findet. Wie, war nicht wichtig. Das war eine Frage zweiten Ranges. Ich redete, während ich versuchte, meine Angst zu beschwichtigen; jetzt hätte ich fortgehen mögen, doch eine Flucht hätte seinen Argwohn entweder geweckt oder bestätigt. Unterdessen strich sich der Doktor unbekümmert den Schnurrbart glatt. Plötzlich sagte er mit einer unvermutet ernst gewordenen Stimme, dass der«Ingenieur»(und hier kam es mir vor, als spreche er die Worte mit Nachdruck aus, um mir zu bedeuten, dass er mein Spiel zwar durchschaue, es aber selbst zu lenken wisse) erst nach sehr langer Zeit sterben würde. Er blätterte das Büchlein durch, fand allerdings den Abschnitt nicht, den er zitieren wollte, oder vielleicht tat er auch nur so, als finde er ihn nicht. Erst nach einem nicht enden wollenden Schweigen (er leckte
sich die Finger, um die Seiten umzublättern, und fing immer wieder von vorn an) gelang es ihm.
    «Hier steht, dass sogar Schwerkranke zwanzig, dreißig, sechzig Jahre am Leben bleiben können, bis eine beliebige andere Krankheit, ein Rückfall oder eine neue, zufällige, ihrem Leiden ein Ende macht.»Noch einmal glättete er seinen Schnurrbart.«Also», schloss er,«wird Ihr Ingenieur lange in diesem gelobten Land leben. Da er es nicht fertigbrachte, auf die Gastfreundschaft der Eingeborenen für eine Nacht zu verzichten, wird er sie zu seinem Bedauern für immer annehmen müssen. »Dann fuhr er lächelnd fort:«Es sei denn, Ihr Ingenieur entschließt sich dazu, einen alten Ritus der Eingeborenen zu vollziehen.»
    Eine alberne Hoffnung überkam mich, und allzu eilfertig fragte ich:«Was für einen?»
    «Das ist so», erwiderte er,«Ihr Ingenieur müsste sich jedes Jahr im Blut eines Neugeborenen baden. Eine vollkommene Allegorie, die eine positive Lösung für Ihre Erzählung wäre.»
    Ich war aufgesprungen und schaute zur Straße hin, außerstande, das Zittern meiner Beine zu beherrschen. Als ich zu Ende gesprochen hatte (ich erinnere mich nicht mehr, was ich sagte), hob der Doktor einen Tabaksbeutel vom Boden auf und begann sich eine Zigarette zu drehen. Er hielt das Papierchen gegen das Licht, zerknüllte es, wählte
ein anderes, versenkte es in den Beutel und zog es voll von blondem Tabak wieder hervor. Er kam jedoch nicht voran damit, als hätte ihn ein plötzlicher Gedanke ergriffen. Und ich wusste nicht, was ich sagen sollte, obschon ich spürte,

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