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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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waren inzwischen getrocknet, auch die Banknoten waren getrocknet, ich hatte nichts verloren. Ich hatte nicht einmal den Willen zu leben und mich zu retten verloren, obschon dieses Bad mich wieder in die Wirklichkeit versetzt hatte (ich hatte meine Hand neu verbinden müssen). Aber dass ich meine Kleider nicht verloren hatte, war ein vortreffliches Zeichen, denn nackt hätte ich nicht weiterkommen können als bis zum ersten Kommando. Sogar meine gute Laune kehrte zurück, als ich mir ausmalte, in welchem Zustand man mich hätte ankommen sehen, wenn ich hingegangen wäre, um mich zu stellen.
    So nahm ich lachend die ersten Buckel in Angriff, ohne noch die Müdigkeit zu verspüren. Ich musste die Abkürzung erreichen, ihr folgen bis
nah an den Rand des Hochlandes und dann immer quer durch die Felder, die Straße vermeidend. Wenn ich einmal auf dem Hochland war, würde ich dem alten abessinischen Maultierpfad folgen bis nach A., eine Strecke von achtzig Kilometern, die in zwei Tagen zurückzulegen war, wobei man Posten und Lagerplätze und Dörfer meiden musste. Ich fragte mich noch nicht, wie ich es schaffen würde; ich wusste nur, dass ich es schaffen musste. Das Bad im Fluss hatte mir den nötigen Optimismus wiedergegeben, und jetzt wünschte ich sehnlich, aus diesem Tal herauszukommen, das ich so gut kannte.
    Der Fluss lag hinter mir, und das Bewusstsein, das erste schwere Hindernis überwunden zu haben, gab mir die Gewissheit, dass ich auch die anderen überwinden würde bis nach Massaua. Ich hatte es nicht eilig, doch ich wusste, wenn ich stehenbliebe, würde ich nur schwerlich den Weg wieder aufnehmen, und daher sagte ich mir immer wieder, dass alle Hindernisse nur in der Phantasie vorhanden seien, in der Phantasie wie das Krokodil, das ich unter meinem Fuß gespürt hatte und das doch nur ein Gewirr von Schlingpflanzen oder ein darin verfangener Tierkadaver war.
    Ich gelangte zum Pfad, der zur Abkürzung führte, gerade zwischen den Bäumen, wo wir die
beiden erhängten jungen Männer gefunden hatten; ich erkannte ihre von Johannes geschaufelten Gräber. Ich bog ab, gegen die Abkürzung, die ich bald darauf erreichte. Hier wurde der Pfad bequemer, und die Pfeile, welche die Soldaten aus Spaß angebracht hatten, wiesen mir den einzuschlagenden Weg, diesmal ohne die Gefahr, dass ich mich täuschte, und ich durchlebte von neuem die Phasen dieser schon allzu lange dauernden Komödie. Und meine Gedanken kehrten noch einmal zu Mariam zurück, zum Tod, den wir uns gegenseitig gegeben hatten, jeder einem geheimen Plan folgend: ich jenem, allein zu bleiben; sie jenem, mich in ihre Einsamkeit hineinzuziehen.«Schade», sagte ich zu mir,«dass ich nicht die Meinung des Doktors über diese literarische Hypothese gehört habe.»Und ich lachte, denn jetzt konnte ich über alles lachen.
    «Der Ingenieur und die Eingeborene, lieber Doktor, töten sich gegenseitig, und jeder mit dem Mittel, über das er verfügt. Der Ingenieur tötet als praktisch gesinnter Mann, der keine Zeit hat , um einen durch die Erfahrung bereits ausreichend erhärteten Vorgang nachzuprüfen, und ohne sich zu fragen, welche Folgen seine Tat nach sich ziehen wird. Die Eingeborene tötet, so wie ihr Land tötet, mit unendlich viel Zeit , von der sie einen so falschen Begriff hat.»

    Während ich mir die müde Entgegnung des Doktors vorstellte, durchbrach ein Gewehrschuss die Stille. Ich stürzte zum Gehölz hin, mich zwischen Steine niederduckend, und wartete. Doch es waren keine weiteren Geräusche zu hören, und ich war gerade im Begriff, mich zum Weitergehen zu entschließen, als vom Pfad Stimmen herüberdrangen. Bald tauchten zwei Soldaten auf, die ebenfalls zum Hochland unterwegs waren. Sie gingen gemächlich, mit müden Schritten, und sprachen in einem mir unbekannten Dialekt. Einer der Soldaten hielt das Gewehr in den Händen und suchte mit den Augen ein Ziel, für das sich die Patrone lohnte, einen Vogel, ein Eichhörnchen; der andere, der noch müder war, ging vor ihm; er wischte sich den Schweiß ab und spornte seinen Gefährten an, sich zu beeilen. Als sie näher kamen, sah ich, dass sie Carabinieri waren und geschossen hatten, um die Stille dieses Inspektionsganges zu unterbrechen.
    «Los, beeil dich», sagte der Vorangehende.
    Der andere verweilte noch, dann zielte er und schoss auf einen Busch, doch ohne etwas zu treffen, denn ich hörte ihn schimpfen. Darauf entfernte er sich rasch.
    Ich wollte zwanzig Minuten warten, ehe ich den Weg wieder

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