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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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Grabstätte vorüberkam, war ich ruhig und blieb nicht einmal stehen; ich ging in Richtung des Nebenflusses, um dort wieder hinaufzusteigen und gerade in der Nähe von A. herauszukommen. Diesen Entschluss hatte ich gefasst, als ich die Karte betrachtete. Der Nebenfluss entsprang südlich von A., und wenn ein Pfad an einem seiner Ufer entlangführte, würde ich mir eine große Strecke und alle möglichen Begegnungen ersparen, denn in diesem Gebiet gab es wahrhaftig weder Carabinieri noch Lager. Ich drang weiter ins Gehölz ein, das von Termitenbauten übersät war, und gelangte zum Nebenfluss: Er lag dort unten immer noch so geruhsam und unberührt wie am ersten Schöpfungstag.
    Die Schlucht, die nach A. führte, lag zwischen zwei hohen Wänden, die am Anfang etwa einen
Kilometer voneinander entfernt waren und sich dann mehr und mehr verengten, während der Fluss über immer steilere Felsen hinabstürzte und kleine Wasserfälle bildete; wenn ich ihm folgte, würde ich sehen, wie er zu einem Wildbach und dann zu einem einfachen Rinnsal wurde. Leider stand die Sonne schon in der zweiten Hälfte ihrer Bahn, und ich dachte ungern daran, mich in dieser Gegend von der Nacht überraschen zu lassen. Ich schätzte, wenn ich rüstig ausschritte, würde ich vor Einbruch der Nacht zwanzig Kilometer zurücklegen können. Aber die Landkarte, diese optimistische Landkarte, gab mindestens fünfzig an.
    Ich beschloss, wenn ich eine Grotte fände, würde ich darin übernachten, sonst musste ich zurückkehren. Aber wohin zurück?
    Ich setzte mich und zündete eine Zigarette an, um Zeit zu gewinnen.
    Jetzt brachte ich es nicht mehr fertig, mir etwas vorzumachen, und ich überlegte: Wenn es die Angst war, den Weg zu verfehlen, die mir riet umzukehren, gut, diese Entschuldigung konnte ich gelten lassen. Doch wenn andere Ängste mir diese Ausrede vorschrieben, die Schatten der Nacht, die Tiere, so waren diese Ängste albern. Ich durfte mir einen solchen Luxus nicht leisten. Allenfalls mussten die Tiere sich vor mir fürchten, der ich diesmal nichts zu verlieren hatte.

    Und überhaupt, welche Tiere denn? Als ich mich wieder auf den Weg machte, war ich überzeugt, dass ich das Schauspiel der Angst nicht aufführen würde; doch ein paar Minuten danach beschloss ich, ich dürfe mich nicht in einem solchen Maße täuschen und auf einem Unternehmen beharren, das derart viele Risiken mit sich brachte. Meine Nerven waren gespannt und zuckten bei jedem kleinen Geraschel.
    Eine halbe Stunde später begegnete ich dem Maultier. Es war weiß und lag ausgestreckt da, mit dem Bauch nach oben, aber ich roch gar keinen Gestank.
    Ich ging näher heran, und das Maultier wandte den Kopf, um mich anzusehen; es erhob sich träge auf seine vier Füße und trabte davon. Es war ein weißes oder eher gelbliches Maultier, ein Maultier der Heeresverpflegung; es hatte noch die Kette um den Hals und schleifte sie auf dem Pfad hinter sich her.
    War vielleicht irgendein Lager in der Nähe? Aber dann hätte man das Maultier mit Stricken an einen Baum gebunden. Nein, es war ohne Packsattel und kam nur mühsam vorwärts, endlich frei, wenn auch dem Sterben nahe. Man hatte es vielleicht auf einem anderen Pfad zurückgelassen, und der Soldat hatte es nicht über sich gebracht, ihm ins Ohr zu schießen oder ihm den Huf mit
der Kennnummer abzuhacken, um seinen Tod zu«rechtfertigen». Er hatte das Maultier sterbend im Stich gelassen, und jetzt stand es auf meinem Weg und sah mich an und fürchtete, ich wolle seinen Frieden stören, den es um den Preis von Mühsal und Krankheit errungen hatte.
    «Gehen wir», sagte ich zu ihm,«machen wir den Weg miteinander, wir beide.»
    Ich war glücklich, einen Gefährten gefunden zu haben, einen Gefährten, der aus Italien kam, wie ich, und der vielleicht wünschte, dorthin zurückzukehren wie ich. Wer weiß, an welche Weideplätze es sich erinnerte. Es folgte mir gehorsam, aber als ich versuchte, ihm den Tornister zu tragen zu geben, lief es im Trab davon; dann blieb es stehen und sah mich an, unsicher, ob es weitergehen solle.
    Ich holte es gleichwohl ein und band ihm den Tornister mit dem Strick auf die Kruppe. Nun wandte es sich um und nahm mit lebhaften Schritten den Weg zum Fluss wieder auf, trippelnd und gefolgt von mir, der ich ihm nur mit Mühe nachkommen konnte.
    Es trug all meine Sachen und alles Geld mit sich fort, fest entschlossen, nicht auf meine Rufe zu hören. Mit großer Anstrengung holte ich es ein und packte es am

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